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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Kompanie nach Westen gezogen.« Kirilin sagte es in einem Ton, als würde er besonderes Lob für seinen Mut erwarten, doch Sergej wunderte sich nur. Es hörte sich nämlich so an, als wäre Kirilin ohne Befehl losgezogen, aber das würde nur ein Offizier wagen, der lebensmüde war oder nichts mehr zu verlieren hatte. Sergej schob den Verdacht, der ihn beschlich, rasch wieder beiseite. Wahrscheinlich hatte Kirilin sich freiwillig gemeldet, um Ruhm und Ehre zu ernten, und musste nun ebenfalls Bauern vertreiben und deren Dörfer niederbrennen. Daher bemühte er sich um einen versöhnlicheren Ton.
    »Es kommen auch wieder andere Zeiten, Oleg Fjodorowitsch. Dann zeigen wir es den Schweden!«
    Kirilin ging nicht darauf ein, sondern deutete auf ein Stück Wiese am Waldrand. »Ihr könnt euer Lager dort drüben aufschlagen. Sorge aber dafür, dass deine stinkenden Kalmücken uns vom Leib bleiben und vor allem nichts stehlen. Diesem Steppengesindel ist nicht zu trauen.«
    Sergej hatte bereits festgestellt, dass sich unter Kirilins Soldaten einige befanden, die bei den Steppenstämmen geboren worden waren, und wunderte sich über dessen verächtliche Worte. Nun entdeckteer, dass es sich bei diesen Asiaten um die übrigen sibirischen Geiseln handelte, die dem Befehl des Zaren zufolge auf verschiedene Regimenter hätten aufgeteilt werden sollen. Anscheinend hatte Kirilin sie eigenmächtig in seine eigene Kompanie gesteckt. Da es in diesen Zeiten nicht immer leicht war, Rekruten zu bekommen, verstand Sergej ihn sogar, und er sagte sich, dass die Handlungsweise des Offiziers ihn nichts anginge. Kirilin würde sich vor seinen Vorgesetzten rechtfertigen müssen und nicht vor ihm. Da ihm nichts daran lag, sich weiter mit diesem Mann zu unterhalten, verabschiedete er sich und kehrte zu seinen Leuten zurück.

XV.
    Nachdem Schirin Goldfell und ihr Saumpferd versorgt hatte, sonderte sie sich von den anderen ab und schlenderte ein Stück am Waldrand entlang. Am liebsten wäre sie zu Sergej gegangen und hätte ihn zur Rede gestellt oder ihn gleich mit ihrer Pistole über den Haufen geschossen. Ein Teil von ihr schalt sie wegen dieses abwegigen Gedankens und forderte sie auf, kühles Blut zu bewahren. Dafür aber war sie viel zu wütend und erregt. Eine windschiefe Hütte, die hinter den ersten Bäumen stand und die Kirilins Leute anscheinend übersehen hatten, brachte sie auf eine Idee. Sie eilte zum Lager zurück, suchte sich aus der Traglast ihres Saumpferds tatarische Kleidungsstücke heraus und eilte zu der Hütte zurück. Sie betrat das Haus als Fähnrich der russischen Armee und verließ es als tatarischer Prinz. Zwar fühlte sie sich nicht viel besser als vorher, aber die Tatsache, dass sie die ihr aufgezwungene russische Hülle abgestreift hatte, ließ sie zumindest etwas freier atmen.
    Da sie nicht auf direktem Weg zu ihrem Trupp zurückkehren wollte, schlug sie einen Bogen und kam dabei an Kirilins Kompanie vorbei. Mit einem Mal vernahm sie heimatliche Laute und blieb stehen. Sie kamen von einem Feuer, an dem ein Dutzend Männer in russischen Uniformen saßen. Im ersten Moment wollte sie sich irritiert abwenden, dann aber erkannte sie Ilgurs stummen Diener Bödr und sah sich die anderen näher an. Es waren all jene sibirischen Geiseln, die außer Ostap und ihr noch am Leben waren. Schirin schwankte zwischen dem Wunsch, hinzugehen und mit den Leuten zu reden, und der Abneigung, die sie gegen einige der Männer empfand. Die Entscheidung wurde ihr jedoch abgenommen, denn Bödr entdeckte sie und machte seinen Herrn gestenreich auf sie aufmerksam.
    Ilgur, der die Uniform eines einfachen Soldaten trug, drehte sichum, kniff die Augen zusammen, um Bahadur gegen die tief stehende Sonne erkennen zu können. Einen Augenblick musterte er ihn abschätzend und schien ihm im ersten Augenblick mit einer wegwerfenden Handbewegung den Rücken zukehren zu wollen. Dann aber zog ein Lächeln über sein Gesicht. Er sprang auf und kam mit sichtlich erfreuter Miene und offenen Armen auf ihn zu.
    »Bahadur! Ist das eine Überraschung, dich zu sehen.«
    Er lachte fröhlich und fasste den jungen Tataren um die Schulter, als wären sie stets die besten Freunde gewesen. »Du kommst zu einer guten Stunde!«, flüsterte er nach einem prüfenden Blick in die Runde. »Wie du siehst, geht es mit den Russen bergab, und sie werden den Schweden unterliegen. Ich und die anderen Freunde haben keine Lust, als Knechte von Verlierern zu gelten, daher haben wir uns

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