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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Streifschar wurden die Schweden vorsichtiger und sicherten gründlich ihren Weg. Menschikow schalt Sergej jedoch nicht, sondern lobte ihn vor allen anderen Offizieren, denn er hatte gezeigt, dass die Löwen aus Mitternacht nicht unbesiegbar waren. Am liebsten hätte der Fürst Lewenhaupts Armee auf der Stelle angegriffen, doch der Hauptteil seiner Truppen war noch nicht eingetroffen, und er wagte es nicht, die Schweden mit unterlegenen Kräften zu attackieren. So kam es, dass Lewenhaupt sich Tag für Tag weiter dem Dnjepr näherte und Menschikow schließlich hilflos mit ansehen musste, wie der schwedische General seine Armee in voller Ordnung über den Fluss führte. Kurz darauf aber erhielt er die Nachricht, dass Carl XII. weitermarschiert war und die Entfernung zwischen den beiden schwedischen Heeren sogar noch angewachsen war.
    Als wolle das Schicksal ihn verhöhnen, traf Menschikows Hauptarmee just zu dem Zeitpunkt am Dnjepr ein, als die letzten schwedischen Kompanien das östliche Ufer erreicht hatten. Wäre Menschikows Verstärkung nur einen Tag früher angekommen, hätte der General Lewenhaupts Heer in einer Situation angetroffen, in der er es ohne größere Eigenverluste hätte vernichten können. Menschikow gab jedoch nicht auf, sondern ließ seine Armee demonstrativ aufmarschieren und folgte den Schweden ganz offen und unbelastet von einem schweren Tross. Von da an gab es keinen Tag mehr ohne ein Gefecht.
    Sergejs Aufgabe bestand darin, sich vor die Schweden zu setzen, sie von vorne zu attackieren und ihren Vormarsch auf jede nur erdenkliche Weise zu stören. Seine Männer rissen die von Carls Pionieren reparierten Brücken ein und griffen jede schwedische Einheit an,die sich mehr als einen halben Werst vom Haupttrupp fortwagte. Oft genug feuerten seine Steppenwölfe aus sicherer Deckung auf den schier endlos langen Wagenzug mit den Vorsorgungsgütern, und mit der ihnen eigenen Logik legten die Kalmücken dabei nicht auf die Soldaten, sondern auf die Zugochsen an. Meist kamen sie nur zu einer einzigen Salve, denn die Schweden waren auf der Hut und griffen sofort an, konnten aber die schnellen Steppenreiter nicht weit verfolgen. Der Schaden, den diese kleinen Nadelstiche anrichteten, war kaum merkbar, schien die Schweden jedoch zu schmerzen, denn ihr Vormarsch verlangsamte sich beinahe täglich.
    Wenn Lewenhaupt geglaubt hatte, die Russen seien so feige, dass sie nur ein paar Steppenwilde vorschickten, hatte er sich getäuscht, denn Menschikow stellte ihn an einer für die Schweden ungünstigen Stelle zur Schlacht. Sergej war bei diesem Angriff nicht dabei, denn er musste auf Menschikows Befehl schwedische Streifscharen jagen und sie hindern, seinem General in den Rücken zu fallen. Er konnte jedoch den tiefen Klang der Musketen und das Knallen der Karabiner hören, die von Zeit zu Zeit von dem wuchtigen Bellen der Feldgeschütze übertönt wurden, und musste an sich halten, um nicht sein Pferd herumzureißen und dorthin zu reiten, wo die Schlacht stattfand.
    Menschikows und Lewenhaupts Soldaten lieferten sich den ganzen Tag über einen verbissenen Kampf, und als Sergej am Abend zum Lager zurückkehrte, blickte er in erschöpfte und schmerzverzerrte Gesichter und sah überall blutige Verbände. Die Gesichter der meisten Offiziere wirkten abgespannt und teilweise mutlos, Menschikow hingegen saß auf einem prächtigen Stuhl, den seine Bediensteten stets mit sich schleppten, vor seinem Zelt, trank Wein aus einem mit Edelsteinen verzierten Pokal und sah so zufrieden aus, als hätte er Lewenhaupts Armee an diesem Tag vernichtet.
    »Na, Tarlow, wieder zurück? Dich juckt wohl die Schwarte, weil du sie dir an den Schweden reiben willst.« Menschikow lachte und wies seinem Diener an, Sergej ein Glas Wein einzuschenken.
    Sergej stand der Sinn jedoch mehr nach Informationen als nachWein. »Wenn ich mir die Frage erlauben darf: Wie ist es heute gelaufen?«
    »Es war hart. Wir sind mehrfach gegen Lewenhaupts Wagenzug angerannt, wurden aber am Ende zurückgeschlagen. Morgen werden wir es erneut versuchen. Wenn es dann nicht klappt, greifen wir sie übermorgen wieder an.« Menschikow ließ keinen Zweifel daran, dass er diesen Kampf siegreich zu beenden gedachte, und wenn er, wie er es großmäulig prophezeit hatte, seinen letzten Grenadier dafür opfern musste. Er stand jetzt auf, nickte Sergej kurz zu und wanderte durch die Reihen seiner Soldaten. Sergej hörte, wie er ihnen mit launigen Sprüchen Mut zu machen versuchte

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