Die Tatarin
und einige sogar zum Lachen brachte. Das ist eine andere Armee als die, die damals bei Narwa vernichtet worden war, fuhr es Sergej durch den Kopf. Von diesen Männern würde keiner die Waffe wegwerfen und fliehen. Mit diesem Gedanken kehrte er zu seinen Leuten zurück, die inzwischen ihr Lager aufgeschlagen hatten, und setzte sich zu Wanja und Kitzaq an das Kochfeuer.
»Morgen wird es ernst«, sagte er und streichelte dabei den Griff seines Säbels, als wolle er ihm Kraft einhauchen. In dem Moment erklangen Jubelrufe, die sich wie eine Welle durchs Lager fortpflanzten. Sergej sprang auf und sah den Zaren an der Spitze einer Reiterschar auf das Lager zukommen. Bei seinen Begleitern handelte es sich nicht um Dragoner oder Kosaken, sondern um die Grenadiere des Semjonowski-Regiments, das neben dem Preobraschenski-Regiment die zweite Gardeeinheit des Reiches stellte. Es waren Fußsoldaten, die der Zar auf Pferde gesetzt hatte, damit sie rascher vorankamen und zu Menschikows Armee aufschließen konnten.
»Na Aljuschka, du alter Schwedenfresser, wie steht es?«, begrüßte der Zar Menschikow mit weithin hallender Stimme. Die Antwort kam so leise, dass Sergej sie nicht verstehen konnte. Er bemerkte jedoch, dass sich die trüben Mienen vieler Offiziere und Soldaten beim Anblick des Zaren aufhellten und einige sogar wieder lachen konnten.
Pjotr Alexejewitsch lehnte das angebotene Nachtmahl ab und schlenderte durch das Lager, um mit den Leuten zu reden. Dabei ließ er sich an einem Feuer einen Napf Erbsensuppe reichen, an einem anderen ein paar Piroggen und schloss sein Essen eine Weile später mit einem Stück Hammelbraten ab, das er von einem Kalmücken bekam.
»Morgen verspeisen wir die Schweden!«, wiederholte er fast gebetsmühlenhaft bei jeder Gruppe. Die Männer nickten eifrig und ließen ihn hochleben. In der Nacht wurden viele von ihnen den Geräuschen nach, die sie von sich gaben, von Albträumen geplagt, doch als die Wachen noch vor Morgengrauen durch die Zeltreihen liefen und die Schläfer weckten, waren Kleinmut und Angst vollkommen verflogen. Ein Schluck Wodka zum Frühstück stärkte den Angriffsgeist, und als zum Sturm geblasen wurde, rannten die Russen voller Elan gegen die Schweden an.
Lewenhaupt hatte ungeachtet der Verluste durch die russische Attacke versucht, seinen Wagenzug wieder in Marsch zu setzen. Nicht weit vor ihm floss der Sotsch, ein durchaus beachtlicher Fluss, und er wusste, dass König Carl ihm, sobald er dieses Gewässer überquert hatte, mit schnellen Reitertruppen zu Hilfe eilen würde. So trieb er seine Männer zu fast übermenschlicher Leistung an.
Pjotr Alexejewitsch war sich ebenfalls darüber im Klaren, dass dies seine letzte Chance war, den Schwedenkönig von seinem Nachschub abzuschneiden, und peitschte seine Soldaten ungeachtet aller Verluste immer wieder nach vorne. Es gab keine Schlacht im herkömmlichen Sinn, denn das Land war dicht bewaldet und von Sümpfen durchzogen, so dass keine großflächigen Operationen zustande kamen. Die russischen Soldaten griffen den Wagenzug aus dem Schutz der Wälder heraus an, aber die Schweden wehrten sich mit aller Kraft und beträchtlichem Geschick, und lange Zeit sah es so aus, als würden sie auch diesen Angriff zurückschlagen können. Als der russische Angriff zu erlahmen drohte, sah der Zar, dass sich im letzten Drittel des schwedischen Zuges eine Lücke auftat, und winkte Sergej zu sich.
»Schlag mit deinen Steppenteufeln dort hinein, und spalte den hinteren Teil des schwedischen Trosses ab!«
Sergej nickte und zog seine Pistole. »Vorwärts Leute!« Noch ein halbes Jahr zuvor hätte keiner der Kalmücken und Baschkiren diesen schier selbstmörderischen Befehl befolgt, doch inzwischen waren sie es gewohnt, ihrem russischen Häuptling zu gehorchen, und folgten ihm mit gellenden Kriegsrufen. Lewenhaupt parierte ihren Angriff sofort, denn er wollte das Ende seines Zuges nicht preisgeben, und warf immer neue Kompanien gegen die schnell ausweichenden und immer wieder zustoßenden Steppenkrieger. Sergejs Angriff wäre wohl verpufft und er mit seinen Leuten dabei verblutet, aber da die Schweden sich zu stark auf seinen Trupp konzentrierten, übersahen sie die Asowki-Dragoner unter Oberst Pawlow, der auf Menschikows Befehl seine Position verließ, um Sergejs Reiter zu unterstützen. Sein Angriff erfolgte mit solcher Wucht, dass unter den schwedischen Dragonern Panik ausbrach und sie sich zur Hauptmacht zurückzogen. Nun gelang es Sergej
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