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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und Pawlow, die Nachhut abzudrängen und den Semjonowski-Grenadieren die Möglichkeit zu geben, gegen den abgetrennten Teil des Wagenzugs anzurennen.
    Von einem Augenblick zum anderen änderte sich das Bild. Hatten die schwedischen Soldaten und Trossleute sich eben noch wie tausend Teufel gewehrt, verloren sie angesichts des vielfach überlegenen Gegners den Mut. Ihre Kameraden hatten alle Hände voll zu tun, den vorderen Wagenzug gegen die Angreifer zu verteidigen, die wie Wellen in unberechenbaren Schüben über sie hinwegschwemmten, und konnten ihnen nicht mehr zu Hilfe kommen. So ließ der erste Soldat seine Waffe fallen und hob die Hände. Zunächst trafen ihn noch zornige Blicke aus den eigenen Reihen, aber es war wie ein Signal. Immer mehr schwedische Soldaten warfen ihre Gewehre weg, dann schmiss der erste Offizier seinen Säbel wütend zu Boden.
    Für die russischen Soldaten war es ein so ungewohntes Bild, kapitulierende Schweden zu sehen, dass sie zunächst noch weiterschossen und auf die vor Angst schreienden Schweden einhieben. Dann aberbrach sich die Stimme des Zaren Bahn. »Halt! Feuer einstellen! Die Kerle haben sich ergeben.«
    Nur widerwillig ließen die Russen von ihren Feinden ab. Zu lange hatten sie in den Schweden gefährliche und unbesiegbare Ungeheuer gesehen und konnten sie zunächst nicht als hilflose, völlig verängstigte Menschen betrachten. Mit ihnen verlor Lewenhaupt gerade einmal ein Zehntel seiner Soldaten und Trossknechte, doch für Zar Peters Männer war die Gefangennahme der Schweden das Wunder, auf das sie kaum noch zu hoffen gewagt hatten. Der Einzige, der nicht in spontanen Jubel ausbrach, war Pjotr Alexejewitsch.
    »Morgen holen wir uns den Rest!«, sagte er zu Menschikow und den Offizieren in seiner Nähe und wandte sich dann Sergej zu. »Deine Steppenteufel haben sich ausgezeichnet geschlagen. Hätte ich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sie gekämpft haben, hätte ich es für Aufschneiderei gehalten.«
    »Sie haben aber auch einen hohen Blutzoll bezahlt«, antwortete Sergej mit vor Erschöpfung rauer Stimme. Er hatte etliche seiner Kalmücken und Baschkiren verloren, und von den Überlebenden waren die meisten verwundet.
    Der Zar klopfte einigen der Männer aufmunternd auf die Schulter. »Ihr werdet dafür reich belohnt werden, das verspreche ich euch!« Zu Sergejs Verwunderung sprang Kang auf und ließ den Zaren hochleben. Ischmet, der eine Kugel durchs Bein und eine weitere durch die Schulter bekommen hatte, streckte den gesunden Arm hoch und stimmte in Kangs Worte ein. Auch ihre Leute jubelten, wenn auch weniger aus Anhänglichkeit zum Zaren als wegen der versprochenen Belohnung. Nur Kitzaq blickte mit grimmigem Gesicht in die Richtung, in die die Schweden abgezogen waren, und sah so aus, als wolle er ihnen sofort wieder an die Kehle. In Wahrheit fragte er sich, ob sich dieses dumme Mädchen von einer Schirin tatsächlich im Heer des Schwedenkönigs aufhalten mochte.

VIII.
    Die Morgendämmerung des nächsten Tages kündete sich gerade erst an, als die Signalhörner des russischen Heeres zum nächsten Sturm bliesen. Kurz darauf hallte der Donner der Kanonen und das Knallen der Büchsen durch die Wälder. In der Nacht hatten die Schweden versucht, mit ihrem Tross weiterzuziehen, um den Fluss zu erreichen, während der größere Teil ihrer Armee sich bereitmachte, Zar Peters zusammengewürfeltes Heer aufzuhalten und in eine Schlacht zu verwickeln. Pjotr Alexejewitsch ließ einige Regimenter zurück, um den Gegner zu beschäftigen und in seinen Stellungen festzuhalten, und schickte den Rest nach vorne, um den Wagenzug zu attackieren.
    Hier war der Widerstand weitaus schwächer als an den Tagen zuvor. Sergej, der sich mit seinen Leuten vorerst in der Reserve befand, musste untätig zusehen, wie die eigenen Grenadiere Lewenhaupts Wagenzug ein weiteres Mal sprengten und diesmal fast ein Viertel des noch vorhandenen Trosses abtrennten. Die Schweden zündeten jedoch ihre Wagen an, um sie nicht in die Hände der Russen fallen zu lassen, dann durchbrachen sie den Ring der Belagerer und schlugen sich zum Hauptteil ihres Heeres durch.
    Am späten Nachmittag brannte schon über die Hälfte des Trains, und mit einem Mal bemerkte Sergej, dass der Feind begann, seine Kanonen zu vernageln. Kurz darauf explodierten die Pulverwagen mit höllischem Krach. Zuletzt rückte die schwedische Kavallerie geschlossen ab und ließ die Infanterie mit dem restlichen Wagenzug hinter sich

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