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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sagst du? Wie schnell kommt Lewenhaupt derzeit voran?«
    »Keine zehn Werst am Tag.«
    »An Carls Stelle hätte ich auf ihn gewartet oder wäre ihm sogar entgegengezogen. Lewenhaupts Nachschubtross ist in meinen Augen der Schlüssel zum Besitz von Moskau, ja, vielleicht sogar ganz Russlands, und Carl gibt ihn leichtfertig aus der Hand.« Pjotr Alexejewitsch feixte wie ein Schulbub, dem es gelungen war, seinem Lehrer eins auszuwischen, ballte dann die Fäuste und trommelte Menschikow gegen die Brust.
    »Du wirst alles auf die Beine bringen, was laufen kann, und Lewenhaupt entgegenziehen! Er darf den Dnjepr nicht erreichen. Hast du mich verstanden?«
    Jetzt dämmerte es dem Fürsten, welche Ideen im Kopf seines Herrn umgingen, und er bleckte grimmig die Zähne. »Lewenhaupt wird den Dnjepr nicht erreichen, und wenn ich jeden Soldaten meiner Armee dafür opfern muss.«
    »Du wirst so schnell sein müssen wie noch nie in deinem Leben. Nimm deine Dragoner, und lass die Infanterie hinter ihnen aufsitzen. Und jetzt mach, dass du verschwindest!«
    General Michail Golizyn hob besorgt die Hände. »Was ist, wenn Carl wider Erwarten doch kehrtmacht? Dann sitzt Menschikows Armee in der Falle.«
    Pjotr Alexejewitsch lächelte noch breiter. »Oh nein, denn du, mein Guter, wirst dafür sorgen, dass der Schwede gar nicht auf diesen Gedanken kommt. Nimm dir ein paar Regimenter, und suche dir einen schönen Platz für einen Scheinangriff aus. Wie ich die schwedische Dogge kenne, wird sie nach diesem Köder schnappen.«
    Sergej blickte den Zaren bewundernd an. Mit seinem messerscharfen Verstand hatte Pjotr Alexejewitsch den Fehler seines Gegners erkannt und sofort gewusst, wie er ihn empfindlich treffenkonnte. Im nächsten Moment zuckte er unter Menschikows barschen Worten zusammen. »Halte nicht Maulaffen feil, Tarlow, sondern sieh zu, dass du zu deinen Leuten kommst! Wir brechen heute noch auf. Du und deine Steppenwölfe schwärmt vor uns aus, und wenn ihr Lewenhaupt entdeckt, gibst du sofort Bescheid.«
    Sergej salutierte knapp und eilte zu seinen Leuten. Keine halbe Stunde später verließ er mit ihnen das Feldlager und ritt nach Westen, so dass er den Dnjepr, der die beiden schwedischen Heere trennte, hinter sich zurückließ. An seiner Seite ritten Kitzaq, der sich jetzt endgültig als sein Stellvertreter durchgesetzt hatte, und Wanja. Während Werst um Werst hinter ihnen zurückblieb, stieß der Wachtmeister von Zeit zu Zeit ein leises Stöhnen aus.
    »Ojojoj, das wird was!«, seufzte er schließlich.
    »Hast du Angst?«, fragte der Tatar ihn spöttisch.
    Wanja schnaubte empört. »Angst, ich? Ich bin so mutig wie Ilja aus Murom, der größte Held seiner Zeit und vielleicht ganz Russlands.« Kitzaq lachte auf. »Warum jammerst du dann?«
    »Es ist halt kein schönes Gefühl, sich genau zwischen zwei schwedischen Armeen zu befinden. So wie wir muss sich eine Fliege fühlen, auf die die Fliegenklatsche heruntersaust.« Wanja schüttelte sich, und er wirkte alles andere als mutig.
    Sergej warf seinem Wachtmeister einen aufmunternden Blick zu. »Jetzt mach dir nicht in die Hose, Alterchen! Zu Pferd sind wir allemal schneller als die Schweden zu Fuß.«
    Wanja wollte sich jedoch nicht beruhigen lassen. »Die Schweden besitzen auch Kavallerie, und die schlägt verdammt hart zu.«
    »Dann müssen wir eben noch härter zuschlagen«, erklärte Kitzaq mit gebleckten Zähnen.
    Sergej nickte grimmig. »Das werden wir auch!«
    Das waren für Stunden die letzten Worte, die zwischen ihnen fielen. Allen war klar, dass sie in eine Schlacht ritten, die über Russlands Schicksal entscheiden würde. Wenn Lewenhaupts Vorrätean Nahrungsmitteln, Viehfutter und Schießbedarf Carls Hauptheer erreichten, würden ihn auch die niedergebrannten Dörfer und die verseuchten Brunnen nicht mehr davon abhalten können, auf Moskau zu marschieren.
    Während des scharfen Ritts, bei dem die Truppe zunächst ein Stück westlich des Dnjepr dem Lauf des Stroms folgte, musste Sergej wieder an Bahadur denken. Er sah ihn so lebendig vor seinem inneren Auge, als würde der Junge neben ihm reiten. Die Vorstellung bereitete ihm körperliche Schmerzen, und er versuchte, sich einzureden, dass er diesen Menschen, der den Zaren und damit auch ihn verraten hatte, aus seinem Gedächtnis streichen sollte. Aber ihm war klar, dass die Schuld daran, dass es so gekommen war, zum größten Teil bei ihm lag, und er wünschte sich nichts mehr, als seinen Fehler wieder gutmachen und den

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