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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Fehler, uns mit dem Kerl einzulassen.«
    Kirilin lachte grimmig auf. »Konnten wir das vorher wissen? Ihralle habt doch genau wie ich und ein Haufen anderer, die jetzt warm in Moskau sitzen, in dem Schweden die beste Möglichkeit gesehen, diesen verfluchten Pjotr Alexejewitsch loszuwerden und den Zarewitsch an seine Stelle zu setzen. Nur Alexej kann Russland wieder zu dem machen, was es einmal war, nämlich zu einem Hort der Rechtgläubigen, unbeleckt von jeder westlichen Ketzerei!«
    »Aber die Schweden sind doch auch Ketzer.« Diesen Einwand konnte Schirin sich nicht verkneifen.
    Kirilin machte eine herablassende Handbewegung. »Man braucht glühendes Eisen, um eine schwärende Wunde auszubrennen, und die Schweden hätten dieses Eisen sein sollen. Doch nun sind sie ohne fremde Hilfe nicht mehr in der Lage, Pjotr Alexejewitsch die Stirn zu bieten. Würden sie Poltawa erobern und die dortigen Magazine in ihre Hand bekommen …«
    »… und keiner der Verteidiger vorher das Pulverlager in die Luft sprengen!«, fiel Schischkin ihm ins Wort.
    Kirilin nickte seinem Freund düster zu. »Damit hast du nicht Unrecht, Ilja Pawlowitsch! Ich denke, genau das würden die Soldaten in der Stadt tun. Der Zar zieht seine Truppen keine hundert Werst von hier zusammen. Ich schätze, er wird in zwei, drei Wochen mit einer Heeresmacht hier erscheinen, die die der Schweden um ein Vielfaches übertrifft. Solange Pjotr Alexejewitsch seine Armee persönlich anführt, werden die Soldaten wie Löwen kämpfen, schon aus Angst vor ihm und seinem Jähzorn. Doch wenn es keinen Zaren mehr gibt, wird das russische Heer auseinander laufen wie eine Schafherde, in die der Bär eingebrochen ist. Weder ein Golizyn noch ein Scheremetjew sind in der Lage, die Soldaten ohne den Zaren zusammenzuhalten – und erst recht nicht dieser Piroggenbäcker Menschikow.« Kirilin hielt inne und schnaubte, um seiner Verachtung für den engsten Getreuen des Zaren Ausdruck zu verleihen.
    Während die Augen der Männer bewundernd auf Kirilin gerichtet waren, spürte Schirin, wie ihre Nackenhaare sich aufstellten, und die nächsten Worte Kirilins bestätigten ihren Verdacht.
    »Wenn wir nicht aufgeben und als Bettler ins Exil gehen wollen, haben wir nur eine Chance: Der Zar muss sterben, und zwar durch einen von uns!«
    Schischkin fuhr hoch, als hätte ihm jemand ein Bajonett in die Sitzfläche gerammt. »Hast du das mit König Carl besprochen?«
    »Natürlich nicht!«, antwortete Kirilin spöttisch. »Der hohe Herr glaubt immer noch, er könne Russland mit seinen halb verhungerten Raufbolden und zwei Fässchen Pulver besiegen. Der Mann ist nicht mehr ganz richtig im Kopf, sage ich euch!«
    Schischkins Gedanken kreisten offensichtlich um den Meuchelmord, denn er nickte mit dem Kopf, um ihn dann umso heftiger zu schütteln. »Das ist unmöglich! Wie soll derjenige, der das Wagnis auf sich nehmen will, ungeschoren dieses Lager verlassen? Viele der Schweden misstrauen uns noch immer und würden keinen von uns in voller Ausrüstung losreiten lassen. Selbst wenn der Mann ohne eine Kugel im Rücken davonkommt, müsste er hundert Werst reiten und dabei an den schwärmenden Kosaken vorbeikommen. Sagen wir, er schafft es tatsächlich, das Lager des Zaren zu erreichen, so türmen sich dort hundert neue Hindernisse auf. So zerlumpt, wie wir aussehen, fallen wir jedem Rekruten auf und haben keine Chance, uns dem Zelt des Zaren auch nur auf Sichtweite zu nähern! Nein, ein Mann, der dieses Wagnis eingeht, müsste schon übermenschliches Glück besitzen und die Unterstützung sämtlicher Heiligen dazu. Das Ganze ist unmöglich, sage ich euch!«
    Kirilin starrte ihn grimmig an. »Was willst du denn sonst tun? Willst du lieber im Ausland leben, dich mit der dort herrschenden Ketzerei beschmutzen und Mütterchen Russland zugrunde gehen lassen?«
    »Nein, nein, das natürlich nicht!« Schischkin starrte einen Augenblick nachdenklich zu Boden und sah dann einen nach dem anderen auffordernd an. »Es wird nicht einfach sein. Aber einem mutigen und klugen Mann müsste es gelingen.«
    »Es sollten drei von uns gehen, nach der Zahl der heiligen Dreifaltigkeit. Einer davon bist du! Ich weiß, dass du dir deine beste Uniformaufgehoben hast, um standesgemäß vor den neuen Zaren treten zu können.«
    Schischkin wurde so bleich, als hätte Kirilin eben das Todesurteil über ihn gesprochen. Selbst wenn das Vorhaben gelang und er den Zaren töten konnte, hatte er keine Chance, dessen Vertrauten und

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