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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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den Wachen zu entkommen. Er würde von Glück sagen können, wenn er eines schnellen Todes und nicht unter den Händen der Folterknechte starb. Doch als er an die Alternative dachte, die Kirilin ihm aufgezeigt hatte, erschien ihm ein ruhmvoller Tod besser als die Aussicht, irgendwo im Exil vor sich hin zu vegetieren und als Bettler auf den Stufen einer Ketzerkirche zu enden.
    Er straffte die Schultern und blickte Kirilin scheinbar gelassen an. »Wer geht mit mir?«
    Dieser deutete auf seinen Burschen. »Faddej wird gehen und einer der Sibirier.«
    Für einen Augenblick hoffte Schirin, Kirilin würde ihren Namen nennen, doch da drehte der Mann sich zu Ilgur um und lächelte ihn an, als wolle er ihm ein wertvolles Geschenk überreichen. »Mit dieser Tat wirst du dir die Krone von Kasan verdienen, mein Freund! Töte den Zaren, und ich setze sie dir persönlich aufs Haupt.«
    Schirin nahm verblüfft wahr, dass Ilgurs Gesicht aufglänzte und er sich stolz in die Brust warf. War dem Mann denn nicht klar, dass Kirilin gar nicht über die Autorität verfügte, einen Khan einzusetzen? Und dass er ohnehin keine Chance hatte, den Meuchelmord an Pjotr Alexejewitsch lange zu überleben?
    Ilgur schienen keine Gedanken dieser Art zu plagen, denn er breitete die Arme aus, als wolle er Kirilin für seine Worte umarmen. »Auf mich kannst dich verlassen, Väterchen! Wenn wir uns wieder sehen, ist der Zar tot, ich bin der Khan von Kasan und du ein wohlbestallter General der russischen Armee.« Ilgur kannte Kirilins Träume ebenso gut wie jeder Russe und Sibirier in diesem Lager und auch die meisten Schweden, aber anders als Schischkin war er von seinem Erfolg überzeugt.
    »Dann sind wir uns einig! Ihr drei werdet noch heute Nacht aufbrechen. Ich habe mit dem Major der Wache gesprochen und ihm das Ziel genannt, das wir verfolgen. Ihm ist es lieber, euch gehen zu lassen und dafür später gegen russische Truppen zu kämpfen, die durch den Tod des Zaren demoralisiert sind, als Pjotr Alexejewitschs Armee in voller Stärke hier auftauchen zu sehen.« Kirilin umarmte jeden der drei Männer, die er zu Meuchelmördern bestimmt hatte, mit solcher Inbrunst, als wären es seine leiblichen Brüder, und zeichnete auch Ilgur segnend das Kreuz auf die Stirn, ohne sich darum zu scheren, dass dieser Moslem war.
    Schirin sah dem verlogenen Schauspiel fassungslos zu und versuchte, ihre wirbelnden Gedanken zu ordnen. Nach allem, was sie von Sergej wusste, hielt tatsächlich nur die eiserne Hand des Zaren das Russische Reich und die Armee zusammen. Wenn Pjotr Alexejewitsch ermordet wurde, würde jenes Russland, das er in fast zwei Jahrzehnten nach seinen Vorstellungen geformt hatte, in sich zusammenbrechen. Für einen Augenblick empfand sie wieder den alten Hass auf alles Russische, in den sie sich beim Verlassen des Ordu an der Burla gehüllt hatte, und sie sah den Meuchelmord als die gerechte Strafe für die Niederwerfung ihres Stammes an. Dann aber brachen sich teilweise erschreckende Gefühle in ihr Bahn.
    Sie sah die traurigen Augen ihrer Mutter vor sich, durch die sie auch eine Russin war, und erinnerte sich an die Erzählungen aus jener schlimmen Zeit, in der Mamuschka verhaftet und nach Sibirien verschleppt worden war. Wenn Menschen wie Kirilin an die Macht kamen, würde es in diesem Land wieder genauso zugehen, und sie war sich sicher, dass dieser Mann Sergej zumindest demütigen, wenn nicht sogar quälen und töten würde. Genauso schlimm würde die Herrschaft des Zarewitschs und seiner Getreuen die Menschen ihres Stammes treffen, denn man würde sie zu Sklaven machen, zur Zwangsarbeit nach Westen schleppen und beim geringsten Widerstand niedermetzeln. Pjotr Alexejewitsch hingegen hatte sie selbst und die anderen Geiseln gnädig behandelt und verlangte von ihremStamm nur den Jassak, ohne in die traditionelle Lebensweise ihrer Leute einzugreifen. Der Gedanke, den Dienst des Zaren und damit auch Sergej verlassen zu haben und einem Verräter wie Kirilin in das Lager der schlimmsten Feinde gefolgt zu sein, tat ihr nicht zum ersten Mal körperlich weh, und wieder zerfleischte sie sich mit Selbstvorwürfen.
    Während Schirin in sich gekehrt in ihrer Ecke hockte, erteilte Kirilin den drei Auserwählten noch einige Befehle und ließ dabei die Flaschen kreisen. Irgendwann aber schien er zu begreifen, dass sie nicht zu betrunken sein durften, und schickte sie weg, damit sie den Aufbruch vorbereiten konnten. Während die anderen weitertranken und dabei

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