Die Tatarin
Kirilin immer wieder hochleben ließen, schlüpfte Schirin nach einem unbeachtet bleibenden Gruß aus dem Zelt und schlenderte scheinbar gleichmütig zu ihrem jetzt noch leeren Quartier. In ihr war eine Idee aufgekeimt, die sie mit fiebernder Erregung erfüllte.
III.
Um den übrigen Schweden nicht aufzufallen, verließen die drei Meuchelmörder das Lager einzeln und im gewissen Abstand voneinander. Keiner von ihnen ahnte, dass ihnen eine vierte Person folgte, nämlich Schirin, die die günstige Gelegenheit ausnützen wollte, den Schweden zu entkommen. Als sie mit Goldfell am Zügel auf den Wachtposten zuging, klopfte ihr das Herz in der Kehle, denn sie wusste nicht, was sie dem Mann antworten sollte, wenn er sie fragte, wieso Kirilin einen mehr losgeschickt hatte als vereinbart. Doch dem Soldaten war von seinem Vorgesetzten nur mitgeteilt worden, dass einige Reiter in geheimer Mission aufbrechen würden, und so ließ er den jungen Tataren passieren. Schirin atmete auf, führte Goldfell aber noch mehr als einen Werst am Zügel, bevor sie in den Sattel stieg und vorsichtig anritt. Nun musste sie sich vor schwedischen Patrouillen ebenso in Acht nehmen wie vor umherschweifenden Kosaken, die verdächtigen Personen die Kehle durchschnitten, ehe sie Fragen stellten. Ihr Ziel war eine der regulären Einheiten der russischen Armee, deren Offiziere in der Lage waren, sie zum Zaren zu führen, damit sie ihn vor dem geplanten Anschlag warnen konnte. Insgeheim hegte sie die Hoffnung, auf Sergej und seine Steppenkrieger zu treffen, die sich in dieser Gegend herumtreiben mussten, denn er würde sie sicher und ohne unangenehme Fragen ins Hauptlager der russischen Armee geleiten.
Als der Morgen graute, lag das schwedische Lager bei Poltawa schon weit hinter ihr zurück, und sie gab Goldfell den Kopf frei, um schneller vorwärts zu kommen. Zweimal sah sie am Horizont Reiter auftauchen, doch keiner vermochte mit der Geschwindigkeit ihres Hengstes Schritt zu halten. Schirin ritt nach Norden, fast immer in Sichtweite des Flusses Vorskla, dessen Wasser sie gegen Mittagabseits der Furten überquerte, weil diese von den Streifscharen beider Seiten überwacht wurden.
Keinen Werst weiter traf Schirin auf eine russische Vorhut. Ihr Gesicht glühte vor Scham auf, denn beinahe hätten die Männer sie entdeckt, als sie mit nichts als ihrem Hemd bekleidet durch die Vorskla geschwommen und halbnackt auf das Ufer geklettert war. Sie hatte gerade noch genug Zeit gefunden, sich anzuziehen, auf Goldfell zu schwingen und eine hochmütige Miene aufzusetzen. Jetzt ritt sie geradewegs auf den russischen Kommandanten zu.
Als sie das Pferd vor ihm verhielt, starrte der Major sie zwischen zusammengekniffenen Augenlidern an und wechselte ein paar leise Worte mit einem anderen Offizier. Schirin besaß ein ausgezeichnetes Gehör, verstand aber nur das etwas lauter gesprochene Wort Tatar. Das übte eine Wirkung auf die Männer aus, als würde ein Beritt schwedischer Dragoner auf sie losstürmen. Der jüngere Offizier riss seine Pistole heraus, und gleichzeitig legten auch die Soldaten auf sie an.
»Sieh an, der tatarische Deserteur. Wenn das kein Glücksfang ist!« Der Major grinste über sein breitflächiges Gesicht und befahl Bahadur abzusteigen, besann sich aber sofort eines Besseren. »Halt, Nein! Bleib im Sattel sitzen, strecke aber die Arme nach oben, sonst jage ich dir eine Kugel in den Leib.«
»Was soll das?«, fragte Schirin wütend. »Ich habe eine dringende Nachricht für den Zaren!«
»Du wirst ihn schon zu sehen bekommen, und zwar schneller, als dir lieb sein kann. Und jetzt halte den Mund, sonst lasse ich dich knebeln, du tatarischer Hund!«
Schirin war klar, dass der Major nur darauf lauerte, seine Drohung in die Tat umsetzen zu können, und angesichts der auf sie gerichteten Karabiner blieb ihr nichts anderes übrig, als zuzulassen, dass man ihr Säbel und Pistole abnahm und die Hände auf den Rücken fesselte.
Der Major schien sich eine hohe Belohnung auszurechnen, denn er wandte sich mit einem höchst zufriedenen Gesichtsausdruck an seinenUntergebenen. »Übernimm du die Truppe, Stanislaw Grigorijewitsch. Ich werde unseren Fang zu Väterchen Zar bringen.«
»Mit dem größten Vergnügen, Igor Nikititsch. Ich wünsche einen guten Ritt!« Der Hauptmann salutierte und zog sein Pferd herum, um sich an die Spitze des Trupps zu setzen.
Beide Offiziere waren Schirin entfernt bekannt vorgekommen, und bei der Nennung der Namen erkannte sie
Weitere Kostenlose Bücher