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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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glaubte zwar nicht, dass einer der Gefangenen mitten in Karasuk einen Fluchtversuch wagen würde, wollte aber auf alles vorbereitet sein.
    Oberst Mendartschuk trat aus der Kommandantur heraus und blickte den abziehenden Geiseln und Dragonern nach. Jetzt wird hier wieder die gewohnte Ruhe einkehren, dachte er erleichtert und melancholisch zugleich. Irgendwie war es recht angenehm gewesen, der täglichen Routine entrinnen zu können, und er hätte einen Mann wie Sergej gerne bei sich behalten. Er trat einen Schritt vor und salutierte auf die neumodische Art, die er den jungen Offizieren abgeschaut hatte. Sergej erwiderte den Gruß und bemerkte erst jetzt, dass Mendartschuk heute den modernen, flaschengrünen Uniformrock und den schwarzen Dreispitz mit der goldenen Litze trug, die der Zar für die Offiziere seiner Garnisonstruppen eingeführt hatte, und sah es als eine besondere Auszeichnung an, auf diese Weise verabschiedet zu werden.
    Er beugte sich vom Pferd hinab und reichte dem Oberst die Hand. »So Gott will, sehen wir uns wieder, Boris Michailowitsch.«
    Mendartschuk blickte lächelnd zu ihm auf. »So Gott will, Sergej Wassiljewitsch. Reite mit dem Segen der Heiligen Jungfrau und des heiligen Wladimir, und wenn du den Schweden gegenüberstehst, dann schlage auch in meinem Namen besonders hart zu.«
    »Ich werde es nicht vergessen!« Sergej winkte dem Offizier, der ihm in den vergangenen Monaten ein väterlicher Freund geworden war, ein letztes Mal zu und sprengte dann hinter seinem Trupp her, ohnedabei auf die Flüche der Leute zu achten, die vor seinem Pferd beiseite springen mussten.
    Einen guten Werst vor der Stadt holte Sergej seine Leute ein. Einige der Geiseln schienen erst jetzt zu begreifen, dass es wirklich nach Westen ging, denn sie zügelten immer wieder ihre Pferde, als wären sie nicht schlüssig, ob sie nicht versuchen sollten, ihnen die Sporen zu geben und den Russen zu entfliehen.
    Sergej herrschte sie im Vorbeireiten an. »Vorwärts, meine Herren, wir wollen heute noch Kupino erreichen. Wenn wir zu spät dort ankommen, erhaltet ihr kein Abendessen.« Als er ihre empörten Gesichter sah, fühlte er sich wohler. In seinen Gedanken berechnete er die Strecke bis zum Ural und fand, dass sie selbst auf dem kürzesten Weg zwölf bis fünfzehn Tage bis zum Gebirge benötigten und dann noch einmal dieselbe Zeit, um es zu überwinden und nach Moskau weiterzureisen.
    Als er zu seinem Wachtmeister aufgeschlossen hatte, stöhnte er theatralisch auf. »Wir werden wohl einen ganzen Monat Kindermädchen für diese widerspenstige Brut spielen müssen, Wanja. Dabei drängt mich alles, mit den Schweden die Klinge zu kreuzen.«
    Wanja kratzte sich am Kopf. »Vier Wochen brauchen wir in jedem Fall bis Moskau, Sergej Wassiljewitsch, ob wir jetzt Geiseln bei uns haben oder nicht. Daher laufen Euch die Schweden gewiss nicht davon.«
    »Da hast du auch wieder Recht.« Sergej lachte über sich selbst. Ihre Reise führte ja in die gewünschte Richtung, und er würde dafür sorgen, dass die Geiseln den Ritt nicht verzögerten. Im Grunde war Kirilin mit seinen Grenadieren schlechter dran, denn er würde mindestens die doppelte Zeit bis Moskau benötigen und sich dabei oft genug über seine fußwunden Soldaten ärgern müssen. Mit diesem Bild vor Augen ließ Sergej seinen Braunen kurz antraben, setzte sich an die Spitze des Zuges und bestimmte die Geschwindigkeit des Ritts. Ab und zu wandte er den Kopf, um zu sehen, ob die anderen mithielten. Für das Tatarenprinzlein, das sich Bahadur nannte, war es trotz des hinderlichen Packpferds ein Leichtes, ihm zu folgen,und Ilgur und das Gros der Geiseln bereiteten ebenfalls keine Probleme. Nur Ostap, der Jüngste der Gruppe, musste immer wieder von einem Dragoner der Nachhut vorwärts gescheucht werden. Während Sergejs Überlegungen dem Krieg gegen die Schweden galten, spürte Schirin die Einsamkeit, in der sie wohl den Rest ihres Lebens gefangen sein würde. Jeder Schritt ihres Pferdes führte sie weiter von der Heimat fort in ein Schicksal, das jenseits ihrer Vorstellungskraft lag. Sie betete still vor sich hin, um den Schmerz und die Angst zu betäuben, die in ihr tobten.
    Den kleinen Ostap schien die Zukunft genauso zu ängstigen wie sie, denn er spornte mit einem Mal sein Pferd an und überholte sowohl die anderen Geiseln wie auch die Vierergruppe Dragoner, um an Bahadurs Seite zu gelangen. Als er neben seinem großen Freund ritt, blickte er mit einem jämmerlichen Lächeln zu

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