Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
wieder auf ihr Bett zurück.

VII.
    Der Rest des Tages und die Nacht verliefen ereignislos, und dennoch wälzte Schirin sich schlaflos auf ihrem Lager. Die Schnarchgeräusche, die einige Männer von sich gaben, ließen sie sich in die Jurte im Ordu ihres Vaters zurückwünschen, welche sie mit einigen seiner Nebenfrauen und etlichen Schwestern geteilt hatte. Da hatte es auch Unruhe und lästige Geräusche gegeben, aber im Vergleich zu hier war es dort so ruhig gewesen wie im Paradies. Der folgende Tag brachte nichts außer Langeweile, die von Ilgurs gelegentlichen Selbstinszenierungen unterbrochen wurde. Am Morgen darauf wurde die Tür ihres Gefängnisses schon in der Dämmerung geöffnet, und Wanja trat von einem halben Dutzend Kosaken begleitet ein.
    »Macht euch zum Aufbruch bereit, es geht gleich los!« Wider alle Vernunft hatten einige Geiseln doch noch gehofft, bald wieder freizukommen, und begriffen nun, dass sie sich getäuscht hatten. Der kleine Ostap schluckte die Tränen hinab, die in ihm aufsteigen wollten, und starrte Wanja mit großen, ängstlichen Augen an. »Wohin bringt ihr uns?«
    »Gewiss nicht zu deinem Vater«, spottete Ilgur, der sich darüber ärgerte, dass der Knabe sich Bahadur angeschlossen hatte.
    Schirin empfand Ilgurs Spott als unangebracht, denn schließlich teilten sie alle das gleiche Schicksal und sollten sich nicht gegenseitig das Leben schwer machen. Ihr lagen ein paar heftige Worte auf der Zunge, doch sie begnügte sich mit einem zornigen Blick. Ilgur kümmerte sich jedoch nicht um das Muttersöhnchen, wie er Bahadur zu nennen pflegte, sondern folgte Wanja als Erster durch die Tür. Schirin klopfte Ostap aufmunternd auf die Schulter und führte ihn hinaus. Vor der Hütte stand ein Frühstück für sie bereit, das aus Kebab, Fladenbrotund an beiden Seiten spitz zulaufenden Gebäckstücken bestand, die Wanja Piroggen nannte. Schirin griff danach und biss vorsichtig hinein. Es handelte sich um eine Teigtasche, die mit klein geschnittenem Fleisch und Gemüse gefüllt war. Erst als sie einige gegessen hatte, fragte sie sich, ob wohl Schweinefleisch darin gewesen war, das der Prophet verflucht hatte, und nahm sich vor, keine Piroggen mehr anzurühren, obwohl sie ihr gut geschmeckt hatten.
    Während die Geiseln aßen, brachten Kosaken ihre Pferde herbei. Ilgurs Nasenflügel weiteten sich, als er Schirins großen Goldfuchs bemerkte. Er trat darauf zu, und für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er das Pferd für sich selber fordern. Doch bevor er die Hand nach dem Zügel ausstrecken konnte, saß Schirin bereits im Sattel und blickte spöttisch auf ihn hinab.
    »Das Pferdchen gehört mir, Brüderchen.« Sie bemühte sich, Wanjas Sprechweise zu imitieren, und verärgerte Ilgur dadurch noch mehr. Er wusste jedoch, dass er bei diesem Streit den Kürzeren ziehen würde, stiefelte grummelnd zu seinem stämmigen, kurzbeinigen Gaul und stieg auf.
    Sergej hatte den kleinen Disput bemerkt und sich zum Eingreifen bereitgemacht, war aber froh, dass er es nicht tun musste, denn bevor er ernsthaft Partei ergriff, wollte er die Geiseln besser kennen lernen. Mit einem Blick übersah er die Gruppe. Bahadur und Ilgur saßen bereits im Sattel, die restlichen Geiseln mussten von den Dragonern, die als Begleitschutz dienten, auf die Pferde gescheucht werden. Zuletzt stand nur noch das Packpferd des Tataren herum und wartete darauf, dass irgendjemand seinen Zügel nahm. Sergej erinnerte sich an Möngürs Ausspruch, dass sein Sohn von den Russen bedient werden solle, und ärgerte sich unwillkürlich. Dieser Bahadur saß auf seinem goldfarbenen Hengst und blickte hochmütig in die Runde, als wäre er ein hoher Herr und alle andern weit unter seiner Würde. Kurz entschlossen schwang Sergej sich in den Sattel seines braven Braunen, ritt zu dem Packpferd, löste dessen Zügel und warf ihn seinem Besitzer zu.
    »Hier nimm, oder glaubst du, wir spielen Kindermädchen für dich?«
    Noch während er es sagte, bedauerte er seinen harschen Ausbruch und wollte ihn mit einer harmlosen Bemerkung abmildern.
    Doch da hatte Schirin bereits den Zügel des Packpferds ergriffen und ritt hinter Wanja her, der als Erster aufgebrochen war. Vier Dragoner folgten ihnen etwas verwirrt, da sie sich hinter Wanja, aber noch vor den Geiseln hätten einreihen sollen. Hinter ihnen trieben die restlichen Geiseln zögernd ihre Pferde an, während eine weitere Gruppe Dragoner mit schussbereiten Karabinern die Nachhut bildete. Sergej

Weitere Kostenlose Bücher