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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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lagern, in seine Hände bekommen, um mit neuer Ausrüstung wieder auf Moskau marschieren zu können.«
    Menschikow rieb sich die Hände. »Wenn wir die Schweden zu einer raschen Schlacht zwingen, werden sie sich eher zurückziehen als kämpfen.«
    »Oh, nein, das werden sie nicht!«, korrigierte Schirin ihn. »Nur die höheren Offiziere machen sich Gedanken, wie es weitergehen soll, aber sie werden den Befehlen ihres Königs gehorchen, und die einfachen Soldaten würden Carl bis in die tiefste Dschehenna folgen, wenn er es von ihnen fordert. Für sie ist er so etwas wie ein Gott, unsterblich und unbesiegbar. Selbst wenn er mit einer einzigen Kompanie das gesamte russische Heer angreifen wollte, würden ihm die Männer mit Begeisterung folgen und erwarten zu siegen.«
    Der Zar nickte ernst. »Das Mädel hat Recht! Nicht die Zahl ihrer Soldaten, sondern der Geist, der in ihnen wohnt, macht die Schweden so gefährlich. Aus diesem Grund werden wir von einem direkten Angriff auf sie absehen, sondern hier«, er beugte sich über die Karte, um den Namen besser entziffern zu können, »bei Petrowka über die Vorskla setzen und nördlich von Poltawa bei diesem Waldstück Lager beziehen.«
    »Mit dem Rücken zum Fluss?«, fragte General Repnin zweifelnd. Golizyn stimmte ihm lebhaft bei. »Das halte ich nicht für gut, denn dort haben wir keinen Raum zum Manövrieren und würden, wenn wir uns zurückziehen müssten, viele Leute bei der Flucht über die Vorskla verlieren.«
    Der Zar schüttelte energisch den Kopf. »Wir werden uns nicht zurückziehen!An dieser Stelle wird sich Russlands Schicksal entscheiden. Entweder wir siegen oder …«
    »Wir werden siegen!«, unterbrach ihn Schirin und vergaß dabei ganz, dass man einem gekrönten Haupt nicht ins Wort fallen durfte.
    Der Zar nahm es ihr jedoch nicht übel, sondern klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und sah seine Generäle fröhlich an. »Da hört ihr es! Wir werden nicht verlieren.«
    »Und warum bist du dir da so sicher, Bahadur?«, fragte Menschikow, der immer noch leichte Probleme mit Schirins überraschendem Geschlechtswechsel hatte.
    »Ich kenne die Zustände im schwedischen Heer. Keinem dort fehlt es an Mut, doch sie haben seit Monaten nicht mehr ausreichend zu essen bekommen. Zudem ist ihre Ausrüstung alt und verbraucht, und sie verfügen kaum noch über Munition. Wenn die russische Armee standhält, was Allah geben möge, werden wir siegen.«
    Der Zar lachte auf. »Dein Wort in Gottes Ohr, Mädchen! Jetzt sollten wir uns hinlegen und ein wenig schlafen. Morgen geht es früh aus den Betten. Scheremetjew, du rückst noch im Morgengrauen vor und sicherst den Flussübergang bei Petrowka. Nimm so viele Soldaten und Pioniere mit, wie du brauchst. Der Hauptteil der Armee folgt dir so rasch, wie die Kerle marschieren können.«
    Boris Scheremetjew salutierte und verließ als Erster das Zelt. Nun fragte Nikita Repnin nach seinen Befehlen, doch da wies der Zar auf Menschikow. »Ab jetzt ist er der Oberbefehlshaber der Armee, und ich bin nur noch General der Artillerie. Euer Ehren, erlaubt, dass ich jetzt Euer Zelt verlasse, um meine Batteriekommandeure von unseren Plänen zu unterrichten.«
    Menschikow grinste. »Ich erlaube gerne, aber zum einen ist das dein Zelt und ich bin nur Gast, und zum anderen werden die meisten Artillerieoffiziere um diese Zeit schon schlafen.«
    »Ich werde die Kerle schon aufwecken«, antwortete der Zar gespielt grimmig und warf Schirin einen aufmunternden Blick zu. »Du kannstdich jetzt schlafen legen, mein Kind. Dein Mann wird dich in sein Zelt führen.«
    »Mein Zelt befindet sich bei meinen Reitern, und die sind einen halben Tagesritt von hier entfernt«, erklärte Sergej unglücklich.
    »Macht nichts. Dann erlaube ich euch eben, das meine zu benutzen. Ich kann ja in Katjuschkas Zelt schlafen – wenn ich überhaupt dazu komme.« Der Zar zwinkerte den beiden etwas anzüglich zu und verschwand. Seine Getreuen folgten ihm auf dem Fuß und ließen Schirin und Sergej ebenso verlegen wie ängstlich zurück.
    Sergej nahm Schirin an der Hand, ohne sie anzusehen, und führte sie in die Unterkunft des Zaren, dessen Wache offensichtlich schon informiert war und sie eintreten ließ. Besonders anheimelnd war der Ort nicht, an dem sonst der Herrscher über ein großes Reich schlief. Das schmale Feldbett reichte gerade für eine Person, und es war noch nicht einmal eine zweite Decke vorhanden. Schirin lief wie ein gefangenes Tier hin und her und

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