Die Tatarin
Alexejewitsch aber fasste sich als Erster, und da er einem guten Scherz selten abgeneigt war, entblößte er die Zähne zu einem breiten Lächeln. »Du hast Recht, Katjuschka. So kann man mit meiner Base nicht umspringen. Was schlägst du vor, sollen wir mit diesem Burschen anfangen?«
»Entweder ihn aufhängen oder ihn mit dem Mädchen verheiraten«, antwortete Jekaterina mit zuckenden Lippen.
»Nein!«, rief Schirin erschrocken, während Sergej so aussah, als würde er es vorziehen, aufgehängt zu werden.
Der Zar machte ein bedenkliches Gesicht. »Weißt du, meine Gute, so kurz vor einer entscheidenden Schlacht lasse ich ungern einen guten Offizier aufhängen. Er wird also heiraten müssen.«
»Bitte nein, Euer Majestät, tut es nicht!«, flehte Schirin.
Der Blick des Zaren wurde finster. »So zuwider ist er dir? Schade, dann wird er sich statt mit dir mit Seilers Tochter vermählen müssen.«Er machte Anstalten, als wolle er Sergejs Hinrichtung auf der Stelle befehlen, und brach damit sowohl Schirins Trotz wie auch ihren Stolz.
»Wenn es Euer Majestät Wille ist, werde ich Sergej heiraten. Nur tötet ihn nicht.«
Über Schirins gebeugten Kopf hinweg zwinkerte Jekaterina dem Zaren fröhlich zu. »So ist es gut! Es wäre doch schade um so einen prächtigen Burschen wie Tarlow, findet Ihr nicht auch, Euer Majestät?«
Der Zar musterte Sergej mit scharfem Blick und funkelte dann seine Geliebte warnend an. »Sollte ich Verdacht schöpfen, der Kerl könnte dir zu gut gefallen, Mütterchen, werde ich ihn doch noch einen Kopf kürzer machen lassen.«
Schirin erbleichte, während Sergej einen Schritt zurücktrat und heftig den Kopf schüttelte. Jekaterina war eine durchaus ansehnliche Frau, doch er würde sich nicht einmal in seinen Gedanken so weit versteigen, sich ihr nähern zu wollen.
Der Zar las ihm seine Empfindungen vom Gesicht ab und lächelte leise vor sich hin. Dann fasste er Sergej um die Schultern, schleppte ihn wie einen Sack auf Schirin zu und zog diese mit der anderen Hand zu sich. »Ihr habt meinen Segen. Jekaterina, lass den Regimentsgeistlichen holen. So eine Hochzeit ist genau das Richtige, um uns den ärgerlichen Zwischenfall von vorhin vergessen zu lassen.« So blieb Schirin und Sergej nichts anderes übrig, als sich stumm in ihr Schicksal zu fügen und einen ersten, noch etwas zweifelnden Blick zu wechseln.
VIII.
Es war bestimmt nicht die Hochzeitsnacht, die Sergej sich erträumt hätte. Obwohl Mitternacht längst vorüber war, befanden Schirin und er sich immer noch im Festzelt, und er fühlte sich so überflüssig wie ein alter Gaul, der sich hierher verirrt hatte. Während er sich an seinem Wodkaglas festhielt, drehte sich alles um Bahadur, oder vielmehr um Schirin oder Tatjana, wie man sie jetzt nannte. Dabei hätte er sich nichts mehr gewünscht, als irgendwo allein zu sein und über alles nachzudenken, was auf ihn eingestürmt war. Er hatte noch nicht richtig begreifen können, dass es sich bei seinem Freund Bahadur in Wirklichkeit um eine junge Frau handelte, da war er schon mit ihr verheiratet und hatte dabei nicht die geringste Ahnung, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte.
Inzwischen hatte sich das Fest von einem Besäufnis in eine Lagebesprechung verwandelt, denn dem Zaren war klar geworden, dass Schirin wertvolle Informationen besaß. Während Sergej unbeachtet im Hintergrund stand und zusah, beugte sich seine junge Frau über die Karte, die auf allen Seiten über den Tisch hinausragte, und beschrieb dem Zaren und seinen Generälen die Stellungen der Schweden. Das meiste hatten die Männer von ihren Spähern erfahren, doch keiner hatte ihnen so präzise sagen können, wo die einzelnen Regimenter König Carls Quartier bezogen hatten und in welchem Zustand sie sich befanden. Da Schirin lange genug als Krieger im Lager der Schweden gelebt hatte, konnte sie auch Auskunft über die Kampfkraft der gegnerischen Truppenteile geben, und das war wohl die wichtigste Information, die sie mitbrachte.
»Du hast also selbst gehört, dass Graf Piper dem König vorgeschlagen hat, die Belagerung Poltawas aufzugeben und sich nach Polen zurückzuziehen?«, fragte der Zar eben.
Schirin nickte eifrig. »Das hat nicht nur Piper vorgeschlagen. Rehnskjöld und Lewenhaupt haben Carl geradezu händeringend gebeten, von seinem Plan abzusehen, doch der Schwedenkönig hat das Ansinnen seiner Berater ziemlich barsch zurückgewiesen. Er will Poltawa und die Vorräte, die in den Magazinen der Stadt
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