Die Tatarin
nicht weiter darauf einzugehen, sondern sprach nun von ihren gemeinsamen Abenteuern bis hin zu der Ohrfeige, die er ihr gegeben hatte.
»Kannst du mir verzeihen?«, fragte er zuletzt.
»Was?« Die Aufregung des Tages forderte von Schirin ihren Tribut, und sie wurde nun so müde, dass ihre Lippen nur noch einen kaum merklichen Hauch von sich gaben. Sergej spürte, dass es besser war, sie schlafen zu lassen.
»Gute Nacht!«, raunte er ihr ins Ohr und schloss die Augen. Obwohl es schon spät war, wollte der Schlaf sich nicht einstellen. Erspürte, wie Schirin sich entspannte, und kurz darauf verriet ihm ihr leiser, regelmäßiger Atem, dass ihre Müdigkeit und Erschöpfung die Oberhand gewonnen hatten. Nach einer Weile seufzte sie im Schlaf tief auf und rief wimmernd seinen Namen, dazu sagte sie einige Worte, die er nicht verstand. Aber es klang so, als hätte sie in der Sprache ihres Stammes gesagt: »Sergej, ich liebe dich!«
Mit einem Mal fühlte er eine Freude in sich aufglühen, die ihn fast noch mehr wärmte als ihre Nähe und ihr kleines Hinterteil, das sich Platz suchend gegen seine Hüften drängte und dort eine Reaktion auslöste, die sich kaum noch beherrschen ließ. In Gedanken stellte er sich vor, wie er sich auf sie schob und in sie eindrang. Das machte es noch schlimmer, und um sich zu beruhigen, sagte er sich, dass der Augenblick, in dem sie sich ihm freiwillig hingab, gewiss nicht mehr fern war. Über diesem angenehmen Gedanken schlief er ein, und als ihn das Signal des Trompeters nach einem viel zu kurzen Schlaf weckte, hatte er all die Wonnen, die er mit seiner jungen Frau zu erleben hoffte, bereits im Traum genossen.
IX.
Die Schweden wurden vollkommen überrascht, denn kein vernünftig denkender Offizier hatte damit rechnen können, dass die Russen über den Fluss setzen und sich strategisch völlig widersinnig mit dem Rücken zu dem schnell fließenden Gewässer verschanzen würden. Carl XII., der in den Soldaten des Zaren nur dumpfe Tiere sah, die mit der Peitsche vorwärts getrieben werden mussten, und Pjotr Alexejewitsch jeden persönlichen Mut absprach, wollte die Nachricht zunächst nicht glauben. Als seine Späher sie bestätigten, stieg er aufs Pferd, um sich selbst zu überzeugen. Was er zu sehen bekam, trieb ihm das Blut aus den Wangen. Tausende russischer Soldaten hatten die Vorskla bereits überschritten und damit begonnen, bei dem Dörfchen Jakowzy ein festes Lager aufzubauen.
Wäre er nach den ersten Meldungen vorgerückt, um den russischen Vortrab mit nur zwei oder drei Regimentern anzugreifen, hätte er dem Heer des Zaren den Weg über den Fluss verlegen können. Dafür aber war es bereits zu spät. Der König sah dies jedoch nicht als entscheidenden Fehler an, sondern riss sein Pferd herum und ritt zu seinem Feldlager. Da seine Truppen vor Poltawa zu verwundbar waren, ließ er nur ein paar Regimenter zurück, die die Stadt weiter einschließen sollten, und bezog mit seiner Hauptmacht bei dem Dorf Paschkarjowka eine neue Position, die sowohl für die Verteidigung wie auch für einen möglichen Angriff auf die russischen Linien geeignet schien.
Carls Generäle versuchten ihn erneut davon zu überzeugen, dass es besser wäre, den Rückzug anzutreten, die Ukraine zu verlassen und das zusammengeschmolzene Heer im Westen, wo auch genügend Vorräte und Munition zur Verfügung standen, durch Rekruten aufzufüllen.Der König blieb jedoch bei seiner Entscheidung, nicht zuletzt wegen Masepas beschwörenden Worten, die ukrainischen Kosaken würden ihm gegen den Zaren zu Hilfe kommen. So beschloss er, hier bei Poltawa, mehr als tausend Meilen von den eigenen Grenzen und Magazinen entfernt, die russische Armee zu vernichten.
Von gelegentlichen Scharmützeln zwischen russischen Reitern auf der einen und schwedischen Dragonern und Masepas Kosaken auf der anderen Seite abgesehen, tat sich zunächst gar nichts. Carl XII. hoffte immer noch, Poltawa erobern und sich der dortigen Vorräte bemächtigen zu können, bevor es zur Entscheidungsschlacht kam, und die Russen gruben sich ein. Fast schien es, als würde selbst die Zeit stehen bleiben und warten, bis etwas geschah.
Sergej war nach seiner kurzen Hochzeitsnacht befehlsgemäß zu seinen Reitern zurückgekehrt, während Schirin, die nun von allen Tatjana genannt wurde, unter Jekaterinas Obhut im Lager blieb. In den Tagen danach hatten die frisch gebackenen Eheleute sich nur zweimal ganz kurz gesehen, wenn Sergej mit Nachrichten in das sich
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