Die Tatarin
Platz und kam mit eckigen Bewegungen näher. »Das ist Ilja Pawlowitsch Schischkin aus dem Gefolge des Zarewitschs. Er war einer der Verräter, die mit Kirilin zu den Schweden übergelaufen sind.«
Jetzt wich auch die Lähmung von Schirin, und sie konnte endlich das sagen, was ihr seit Tagen auf der Zunge lag. »Er ist einer von drei Meuchelmördern, die Kirilin ausgesandt hat, Euch zu töten, Euer Majestät. Ich war gekommen, um Euch zu warnen, aber da Ihr mich aufhängen lassen wolltet, sah ich keinen Grund mehr, Euch zu informieren.« Dieses Geständnis fiel ihr nicht leicht, doch zu ihrer Erleichterung sah sie den Zaren verständnisvoll nicken.
»Das verstehe ich«, sagte er mit einem bitteren Auflachen, das wohl seinem eigenen Temperament galt.
Nun erwachte auch Jekaterina aus ihrer Schreckensstarre. Sie warf dem toten Schischkin einen bitterbösen Blick zu, umarmte Schirin und drückte sie an ihren Busen. »Ich danke dir, mein Kind. Du hast Russland eben vor großem Schaden bewahrt.«
Dann drehte sie den Kopf und sah den Zaren an. »Nun, mein guter Pitter, willst du dieses arme Mädchen noch immer aufhängen lassen?« Der Zar wirkte für einen Augenblick verwirrt, begann dann aber schallend zu lachen. »Das wäre ein Fressen für die Gazetten Europas, wenn es hieße, der Zar von Russland habe eine junge Frau hinrichten lassen, die ihm zweimal das Leben gerettet hat. Bei Gott, ich begreife das Ganze noch immer nicht, aber sei versichert, das Mädchen steht hoch in meiner Gunst.«
Jekaterina lächelte erleichtert. »Als Natalja Naryschkinas Tochter ist Schirin eine entfernte Verwandte von dir.«
»Schirin heißt sie? Dieser heidnische Name gefällt mir nicht. Das Kind braucht einen guten russischen Namen. Wie sollen wir sie nennen?« Der Zar sah Jekaterina fragend an, doch bevor seine Geliebte etwas sagen konnte, antwortete Schirin ihm so leise, als hätte sie Angst, die Umstehenden könnten ihr die Worte übel nehmen. »Meine Mutter hat mich Tatjana genannt. Aber sie durfte mich nur heimlich so nennen, denn mein Vater hätte sie sonst bestraft.«
Der Zar nickte ihr lächelnd zu. »Dein Vater war ein großer Khan?«
»Nun ja, so groß auch wieder nicht«, bekannte Schirin, erntete jedoch nur eine wegwerfende Handbewegung.
»Auf alle Fälle war er ein Khan, also ein Fürst. Damit können wir dich als Prinzessin Tatjana Möng …, nein, Michailowna Naryschkina begrüßen.« Der Zar kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, riss sie an sich und küsste sie mit großer Geräuschentwicklung auf beide Wangen und den Mund. Schirin ließ es über sich ergehen, rieb sich aber, nachdem er sie wieder losgelassen hatte, mit dem Handrücken über ihr Gesicht.
Pjotr Alexejewitsch achtete nicht darauf, sondern sah auf den Toten herab und rümpfte die Nase. »Warum wurde der Kerl noch nicht fortgeschafft?«
Sofort eilten mehrere Gardisten herbei, um den Leichnam zu beseitigen. Schirin hob etwas nervös die Hand. »Euer Majestät, es befinden sich noch zwei Attentäter in Freiheit.«
Auf einen Wink des Zaren verschwand Menschikow aus dem Zelt, und man hörte ihn draußen einige Befehle rufen, die Schirin jedoch nicht verstehen konnte, weil der Zar gleichzeitig die Diener anschrie, den Männern Wodka und den Frauen Wein zu reichen.
»Auf meine Verwandte und Lebensretterin!«, rief er mit dröhnender Stimme und trank Schirin zu. Diese nippte an ihrem Glas und hoffte, man würde sie jetzt endlich gehen lassen. Zu viel war an diesem Abend auf sie eingestürmt, doch anders als bei den Schweden, die sie im Kampf getötet hatte, fühlte sie diesmal kein Bedauern. Schischkin hatte sein Ende mehr als verdient, und sie war ein klein wenig stolz darauf, dass es ihre Hand gewesen war, die ihn daran gehindert hatte, den Zaren zu ermorden.
Jekaterina dachte jedoch nicht daran, ihren Schützling so schnell gehen zu lassen, denn sie hatte noch etwas mit dem Mädchen vor. Sie zupfte den Zaren am Ärmel und sah ihn bittend an. »Euer Majestät, da gibt es noch etwas zu regeln.«
Pjotr Alexejewitsch blickte verwundert auf. »Ja, was denn?«
Jekaterinas Augen funkelten amüsiert, während sie auf Sergej zeigte. »Findest du es richtig, dass dieser attraktive, junge Mann mehr als ein Jahr lang mit deiner Verwandten durch das Land gezogen ist, Seite an Seite mit ihr geschlafen hat und wer weiß was noch mit ihr getan hat, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen?«
Sergej blickte genauso fassungslos wie der Zar, Pjotr
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