Die Tatarin
Männer salutierten, als Sergej auf sie zuritt, bestaunten die Geiseln und starrten den wie ein Prinz gekleideten Tataren an, der nach der langen Reise noch stärker aus der Gruppe herausstach.
Ein graubärtiger Unteroffizier salutierte achtungsvoll vor Sergej und grinste ihn dann an. »Wen bringt Ihr denn da nach Moskau, Väterchen? Ist das ein sibirischer Khan mit seinen Begleitern?«
Schirin hatte sich immer noch nicht an die seltsamen Begrüßungsriten der Russen gewöhnt und schüttelte wieder einmal verwundertden Kopf. Der Torwächter war mehr als doppelt so alt wie Sergej Tarlow, sprach ihn aber mit Väterchen an, weil der Hauptmann höher im Rang stand als er. Es hörte sich genauso verrückt an wie bei Wanja, der mindestens zwanzig Jahre älter war als sein Vorgesetzter, und sie erinnerte sich an Jurij Gawrilitsch, aus dessen Mund diese Anrede sehr devot, ja geradezu kriecherisch geklungen hatte.
»Das sind alles Söhne von Khanen und Emiren, Sergeant, die ich als Geiseln zum Zaren bringen soll«, erklärte Sergej dem Wächter stolz.
Der Unteroffizier kratzte sich unter dem Kragen. »Väterchen Zar wirst du in Moskau vergeblich suchen, Väterchen Hauptmann. Der war schon lange Monate nicht mehr hier, und wo er sich aufhält, weiß nur Gott allein. Vielleicht in Smolensk, um die Schweden aufzuhalten, vielleicht in Sankt Petersburg oder irgendwo anders im weiten Russischen Reich.«
Sergej beugte sich aus dem Sattel herab und sah den Mann durchdringend an. »Was ist mit den Schweden? Sind sie schon auf dem Weg zu uns?«
»Es heißt, sie würden sich in Polen sammeln, um nach Moskau zu marschieren. Doch wann sie kommen werden, kann ich dir nicht sagen, Väterchen. Da musst du schon jemanden fragen, der mehr darüber weiß.« Der Unteroffizier blickte entschuldigend zu Sergej auf und wies dann seine Männer an, das Tor freizugeben.
Sergej winkte seinem Trupp, ihm zu folgen, und ritt hoch erhobenen Hauptes in Moskau ein. Schirin, die nichts mehr zu verlieren hatte, folgte ihm als Erste und blickte sich neugierig um. Von nahem wirkte die Stadt nicht mehr so prachtvoll wie aus der Ferne. Die Häuser bestanden ähnlich wie in Karasuk und den anderen Orten, in denen sie genächtigt hatten, aus Holz, und bei weitem nicht alle sahen neu oder gepflegt aus, viele wirkten sogar halb zerfallen. Die Straßen, die sich zwischen den Gebäuden hindurchwanden, waren schmal und von Hauswand zu Hauswand mit hölzernen Bohlen bedeckt, auf denen sich schlammige Pfützen und allerlei Unrat angesammelt hatten. Hier roch es noch ärger als in den kleineren Städten,so als würden Wasser und Wind des Abfalls nicht mehr Herr. Der Gestank beleidigte Schirins Nase, und sie hielt an Stellen, an denen es zu schlimm wurde, den Atem an.
Erst als sie den großen Platz vor dem Kreml erreichten, wurde der Geruch erträglicher, denn hier blies ein frischer Wind. Dieser Teil von Moskau lag höher als der dicht bebaute Rest, und der Glanz der goldenen Kuppeln verlieh ihm eine märchenhafte Pracht. Eine hohe, steinerne Mauer umgab die Ansammlung prunkvoller Gebäude, und die Tore in ihr waren zu kleinen Festungen ausgebaut. Hier hielten Soldaten Wache, die in halbwegs saubere, dunkelgrüne Uniformen gekleidet waren und ganz anders auftraten als der gemütliche Unteroffizier am äußeren Stadttor. Ihr Anführer forderte die Gruppe barsch auf, stehen zu bleiben, salutierte auch nicht vor Sergej, sondern forderte ihm die schriftliche Order ab.
»Die sehen aber nicht besonders freundlich aus«, wisperte Ostap Schirin ängstlich zu.
Wanja hörte es und verzog missmutig das Gesicht. »Das sind Preobraschensker Garden, Söhnchen. Weiß der Teufel, was die Kerle hier machen. Ich dachte, das Regiment stehe im Westen, um den Schweden die Hammelbeine lang zu ziehen.«
Nach dem, was Schirin unterwegs aufgeschnappt hatte, waren die Preobraschensker Garden die Leibwache des Zaren, und sie wunderte sich wieder einmal über die russischen Sitten. Die Männer, die ihren Vater beschützten, pflegten nämlich nicht von seiner Seite zu weichen, aber hier standen diejenigen, die das Leben des Herrn über das große Russland bewachen sollten, faul herum, während ihr Khan in der Ferne weilte. Langsam sollte ich mir das Wundern abgewöhnen, sagte sie zu sich selbst, denn diese Russen sind alle verrückt. Gleichzeitig begriff sie, dass die Abwesenheit des Zaren ihr Leben noch eine Weile verlängern mochte, aber auch die Gefahr erhöhte, als Frau entlarvt zu
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