Die Tatarin
an, sich der Pferde anzunehmen. Schirin war nicht bereit, Goldfell den Händen des untersetzten Burschen zu überlassen, der nach dem Zügel greifen wollte.
»Mein Pferd versorge ich selbst!«, sagte sie scharf. Als der Knecht nicht reagierte, stieß sie ihn zurück und sah Sergej zornig an. »Sag dem Kerl, er soll die Finger von Goldfell lassen!«
Sergej zuckte mit den Schultern und wies den Mann an, zu verschwinden. »Wenn der Tatar seinen Gaul selber füttern will, dann soll er es tun«, setzte er hinzu, drehte Schirin den Rücken zu und folgte dem Quartiermeister.
»Das ist aber auch ein besonders schönes Pferd. Ich wette, einen besseren Zuchthengst hat selbst Väterchen Zar nicht in seinen Ställen.« Der Pferdeknecht war stehen geblieben, um Goldfell zu bewundern, und bat Schirin nun unterwürfig, ihm in den Stall zu folgen. Es handelte sich um ein düsteres Gebäude aus Stein mit engen, gemauerten Boxen. Dies war kein Aufenthaltsort für einen Hengst, der in der Weite der Steppe aufgewachsen und gewöhnt war, in der Nacht die Sterne über sich zu sehen. Schirin sah jedoch ein, dass sie sich den hier gebräuchlichen Sitten anpassen musste, und befahl dem Knecht, ihr Packpferd, an das Goldfell gewöhnt war, in der Nachbarbox unterzubringen. Dann rieb sie den Hengst ab und legte ihm Futter vor. Die Sorgfalt, mit der sie vorging, schien dem Pferdeknecht zu imponieren.
»Ihr habt wirklich ein wunderschönes Pferd, edler Herr«, wiederholte er sein Lob. »Ich werde sehr sorgfältig darauf Acht geben, gerade so, als wäre er mein Augapfel.«
Schirin hob abwehrend die Hände. »Goldfell ist nicht an Fremde gewöhnt. Ich werde ihn daher selber versorgen.«
Der Knecht nickte eifrig. »Gewiss, edler Herr, aber wenn es Euch einmal nicht möglich ist, hierher zu kommen, versichere ich Euch,dass Euer Ross sich in den besten Händen befindet. Ich habe schon die Pferde des Zaren gepflegt.«
Schirin musterte den Mann und fand, dass er zuverlässig wirkte. »Also gut! Du kannst dich um Goldfell kümmern, aber ich werde jeden Tag kommen und nachsehen, wie es ihm geht.«
»Das ist doch selbstverständlich, edler Herr.« Der Knecht verbeugte sich tief vor Schirin.
Die junge Tatarin zog aus einem Impuls heraus ihre Geldbörse, schnürte sie auf und drückte ihm eine Münze in die Hand. Die Augen des Knechtes leuchteten auf, und er versicherte wortreich, dass es dem Hengst unter seiner Pflege an nichts mangeln würde.
»Das will ich hoffen.« Schirin nickte dem Mann noch einmal zu und verließ den Stall. Ein Wachtposten vor dem Gebäudeteil, der als Kaserne Verwendung fand, wies ihr den Weg zu ihrem Quartier. Dort verriet nur das Gepäck, dass die anderen Sibirier schon da gewesen waren.
Noch während sie sich einen Platz für ihre Sachen suchte, steckte ein Soldat den Kopf zur Tür herein. »He, Tatar, ich soll dir von deinem Hauptmann ausrichten, dass du dich in der Badestube einfinden sollst, um deine Läuse zu ersäufen.«
Schirin ballte die Fäuste, denn sie sah dem Mann an, dass er nur auf ein falsches Wort wartete, um handgreiflich werden zu können. Innerlich fluchend, weil sie nicht die Kraft besaß, mit dem stämmig gebauten Russen fertig zu werden, drehte sie ihm den Rücken zu, suchte sich ein noch freies Bett und verstaute ihr Gepäck.
Dann drehte sie sich wieder zu ihm um. »Was willst du?«
»Du sollst mitkommen!«, blaffte der Russe sie an.
Schirin war klar, dass sie sich solche Unverschämtheiten nicht gefallen lassen durfte, wollte sie sich nicht ständigen Schikanen ausgesetzt sehen, aber im Augenblick wusste sie noch nicht, wie sie sich dagegen wehren konnte. Da sie annahm, Sergej Tarlow würde weitere Soldaten schicken und sie notfalls mit Gewalt holen lassen, trat sie auf den Russen zu. »Führe mich zu Hauptmann Tarlow.«
Der Soldat deutete die Richtung an, die sie nehmen mussten, und ging voran. Unterwegs wurde Schirin langsam bewusst, dass sie mit jedem Schritt der Gefahr, entlarvt zu werden, näher kam, denn wie sie schon gehört hatte, ging es in russischen Badestuben so ähnlich zu wie bei ihren Leuten. Dort stiegen Frauen und Mädchen noch bei Mondlicht oder in der ersten Morgendämmerung nackt in den Fluss, um sich den Staub abzuwaschen, und waren wieder angezogen, bevor die Männer bei Sonnenaufgang erschienen, um zu baden. Wenn die Russen sich auch hier nur nach Geschlechtern getrennt wuschen, würden sie ihr Täuschungsspiel sofort durchschauen und sie höchstwahrscheinlich einer
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