Die Tatarin
sich damit, ihr mit dem Seifenstück ein paarmal über den Rücken zu fahren und es dann an einen anderen Mann weiterzureichen, der schon ungeduldig darauf wartete. Leider löste sich ihr eigener Schaum nun auf, und gleichzeitig schlug der Dampf sich nieder, so dass sie auch die anderen Bottiche erkennen konnte. Ein paar Männer stiegen aus und liefen so herum, wie ihre Mütter sie geboren hatten. So nahe wie jetzt hatte Schirin noch nie bei einem Erwachsenen gesehen, was Männer von Frauen unterschied, und sie musste sich zwingen, nicht angewidert hinzustarren. Gleichzeitig wurde ihre Situation immer brenzliger, auch wenn das Wasser, in dem sie saß, durch den Gebrauch der Seife trüb geworden war. Spätestens, wenn sie aufstehen musste, würde man sie als Mädchen erkennen. Zwar konnte sie jetzt sehen, dass die Männer ihre Kleidung ebenfalls an den vielen Haken ringsum aufgehängt hatten, doch der nächste erkennbare Dolch war so weit von ihr weg, dass sie keine Chance hatte, ihn zu erreichen.
Da kam ihr der Zufall zu Hilfe. In dem Schaff neben dem ihren rief ein Mann, dass das Wasser kalt würde. Es musste sich um eine bedeutende Persönlichkeit handeln, denn sofort eilten Knechte mit Eimern voll heißem Wasser herbei und schütteten nach. Weißer Dampf wallte auf und legte sich wie Nebel über die Bottiche. Schirin wartete, bis sie die Hand kaum noch vor Augen sehen konnte, sprang auf und kletterte aus dem Wasser. Sie hatte sich gemerkt, wo die Tücher zum Abtrocknen lagen, und spürte sie im nächsten Augenblick unter ihren tastenden Fingern. Als sich die Sicht wieder klärte, war sie fertig angezogen und zupfte sich gerade die Ärmel ihres Kaftans zurecht.
Sergej war ebenfalls aus dem Wasser gestiegen, blieb aber stehen und ließ den Blick über seine Schutzbefohlenen schweifen. »Wer hat noch Lust, mit mir ins Dampfbad zu gehen?«
»Ich bin sauber genug«, rief Ostap rasch, denn er fühlte sich inmitten der erwachsenen Männer, die mit teilweise recht stattlichen Gliedern protzten, nicht wohl.
Schirin schüttelte den Kopf. »Ein andermal vielleicht. Jetzt bin ich schon angezogen.« Auch einige andere Geiseln hatten fürs Erste genug vom Baden und hoben abwehrend die Hände.
Sergej schüttelte lachend den Kopf. »Ihr wisst nicht, was euch Gutes entgeht!«
»Ein Schwitzbad reinigt das Innere des Menschen und sorgt dafür, dass er den Wodka besser verträgt!«, versuchte Wanja die Zögernden zu überreden.
»Sauft ihr Russen vielleicht deshalb so viel?«, fragte Schirin spöttisch.
Sergej kam so nackt, wie er war, auf sie zu und packte sie an der Schulter. »Für dich scheint Russland wohl nur aus Schnaps und Schweinefleisch zu bestehen! Mach doch die Augen auf, Junge! Schau dir unsere Städte an, unsere Kirchen und unsere Paläste mit ihren Kuppeln aus Gold, und lausche den Liedern, die man hier singt. Dann verstehst du vielleicht, wie Russland wirklich ist.«
Schirin begriff, dass Sergej an seiner Heimat hing, und da er ihr das Zuhause genommen hatte, wollte sie ihm schon eine kränkende Antwort geben. Dann aber erinnerte sie sich daran, dass sie freundlich zu ihm sein musste, um sein Misstrauen einzuschläfern und an eine Waffe zu kommen. Bevor ihr eine passende Bemerkung einfiel, stimmte Ostap Sergej aus vollem Herzen zu. »Dieses Russland ist wirklich beeindruckend und vor allem so riesig groß! Findest du das denn nicht auch, Bahadur?«
Schirin nickte und versuchte, ein wenig Bewunderung in ihre Stimme zu legen. »So gewaltig habe ich mir Moskau wahrlich nicht vorgestellt. Als wir die Stadt aus der Ferne gesehen haben, wirkten die goldenen Kuppeln wie der Eingang zum Paradies.« Bei dieser Lüge krampfte sich ihr Magen zusammen, doch Sergejs Miene glättete sich, und seine Augen leuchteten vor Stolz.
»Moskau ist die schönste Stadt der Welt, da hast du schon Recht, und unsere Kirchen sind tatsächlich die Tore zum Paradies. Es freut mich, dass sie dir gefallen.« Sergej nahm nun ebenfalls eines der Tücher und trocknete sich nur wenige Schritte von ihr entfernt ab. Da er sich dabei ohne Scheu präsentierte, konnte sie sehen, dass er einen ebenmäßigen Körperbau besaß, und sie hielt für einen Augenblick verblüfft die Luft an, denn etwas in ihr reagierte so stark auf den Mann, dass sie ihn am liebsten angefasst und gestreichelt hätte. Er ist ein Sohn des Schejtans, sagte sie sich, gezeugt, um Frauen zu täuschen und zu verführen. Dennoch stellte sie unwillkürlich Vergleiche zwischen ihm
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