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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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froh darüber, denn ohne Waffen hatte sie keine Chance, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Sie selbst saß meist in ihrer Ecke und erzählte Ostap, der noch mehr Angst hatte als sie selbst, Märchen und Überlieferungen aus ihrer Heimat. Das beruhigte den Jungen, machte ihr die Gefangenschaft aber schier unerträglich, denn die Geschichten steigerten ihren Wunsch, sich frei bewegen und auf Goldfells Rücken über das weite Land reiten zu können. Ein paarmal bat sie die Wachen, die sie wie eine Ziegenherde über denPlatz trieben, sie zu ihrem Pferd gehen zu lassen, doch die Kerle stellten sich schwerhörig, und als sie an einem von ihnen vorbeischlüpfen und zum Stall hinüberlaufen wollte, schlug der Mann mit dem Gewehrkolben zu und stieß sie in die Gruppe zurück. Unter diesen Umständen hielten ihre Vorsätze, Sergej Tarlows Vertrauen zu erwerben, nicht lange an, aber es bot sich ihr noch nicht einmal die Möglichkeit, ihm ihre Wut ins Gesicht zu schreien, denn der junge Hauptmann blieb einige Tage lang wie vom Erdboden verschwunden.
    Sergej hatte die Geiseln, die ihm offiziell immer noch anvertraut waren, nicht vergessen, und Bahadurs Gesicht stieg öfter vor seinem inneren Auge auf, als ihm lieb war. Aber er konnte nichts für ihn und die anderen tun, denn der Befehl, sie einzusperren, war von höheren Orts gekommen. Solange keine Entscheidung über die Gefangenen gefallen war, blieb auch ihm nichts anderes übrig als zu warten und aufzupassen, dass die ihm unterstellten Dragoner nicht über die Stränge schlugen. Zum Glück bereiteten die Männer nur wenig Probleme, und daher gab es nur eine Sache, die sein Gemüt belastete, nämlich der Brief, den er von Jakowlew für Major Lopuchin erhalten hatte. Das Schreiben steckte immer noch in seiner Tasche, denn es zwickte ihm in den Fingern, den Umschlag zu öffnen und nachzusehen, ob sein Inhalt verräterisch zu nennen war oder nicht. War Verrat im Spiel, musste er den Brief einem Vertrauten des Zaren übergeben, obwohl ihm das schier unmöglich dünkte, denn er kannte niemanden in Moskau, von dem er sicher sein konnte, dass dessen Loyalität Pjotr Alexejewitsch Romanow gehörte und niemand anderem. Stellte sich das Schreiben jedoch als harmlos heraus, hatte er noch ein viel größeres Problem, denn dann konnte er es nicht mehr abliefern, weil der Major sofort merken würde, dass es geöffnet worden war. Unterdrückte er seine Neugier, blieb ihm nur die Möglichkeit, das Schreiben seinem Empfänger zu überbringen, denn er durfte einen Kameraden nicht auf einen vagen Verdacht hin beschuldigen.Ein Leben galt hier wenig, und es würde sein Gewissen belasten, wenn Jakowlew, Lopuchin und vielleicht noch einige andere dem Zorn des Zaren verfielen, nur weil sie davon träumten, unter der Herrschaft des Zarewitschs größere Bedeutung zu erlangen.
    Am vierten Tag seines Aufenthalts in Moskau zog Sergej seinen Uniformrock an, strich die Falten glatt und machte sich auf den Weg zu Grigorij Lopuchins Quartier. Es schien ihm besser, den Stier bei den Hörnern zu packen, als sich noch länger mit Zweifeln und Gewissensbissen herumzuschlagen. War der Brief harmlos, so vergab er sich nichts, und sollte es sich tatsächlich um eine Verschwörung handeln, mochte der heilige Wladimir ihm helfen, sie aufzudecken und dem Zaren damit einen Dienst zu erweisen.
    Lopuchin wohnte in einem der älteren Teile des Kremls unweit der Basiliuskathedrale, deren Glocken gerade zum Gebet riefen, als Sergej an die Tür pochte. Zunächst tat sich nichts, und er glaubte schon, man habe ihn wegen des Glockengeläuts nicht gehört. Doch als er erneut klopfen wollte, wurde die Tür geöffnet, und der Bursche des Majors streckte den Kopf heraus.
    »Wer stört meinen Herrn um diese Zeit?« Seine Stimme zitterte nervös und nährte Sergejs Zweifel.
    »Richte dem Herrn Major aus, Hauptmann Sergej Wassiljewitsch Tarlow wünsche ihn zu sprechen«, antwortete er mit heimlicher Anspannung.
    Der Bursche verschwand, kehrte aber schon nach kurzer Zeit zurück. »Das Väterchen bittet den Hauptmann einzutreten!«
    Sergej wurde durch einen düsteren Flur in ein nur wenig helleres Zimmer geführt. Dem Offiziersburschen schien das Halbdunkel nichts auszumachen, denn er fand auf Anhieb die Wodkaflasche, füllte ein Glas bis zum Rand und reichte es Sergej. »Mit Empfehlung des Väterchens Major, Väterchen Sergej Wassiljewitsch!«
    Der Schnaps war stark und schmeckte besser als alle, die Sergej jegetrunken hatte, und

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