Die Tatarin
Trinkspruch aus. »Auf Dimitri Nikolajewitsch Jakowlew, unseren treuen Freund!«
»Auf Alexej Petrowitsch, den nächsten Zaren von Russland«, antwortete Lopuchin.
Der Trinkspruch war an und für sich unverfänglich, da Alexej Romanow als Erbe seines Vaters galt, nur hätte vorher auf die Gesundheit des Zaren getrunken werden müssen. Das roch tatsächlich nach Verrat, und Sergej fühlte sich wie in einer Falle.
Kirilin musste dem Wodka schon stark zugesprochen haben, denn er trat mit gerötetem Gesicht und glasigen Augen auf ihn zu und grinste. »Du wunderst dich wohl, mich hier zu sehen, Dragoner. Aber unser geliebtes Väterchen General Pawel Nikolajewitsch Gjorowzew erwies sich als so freundlich, mich meines untergeordneten Kommandos zu entbinden und mich in die Garde des Zarewitschs aufzunehmen.«
Als Gardeoffizier stand Kirilin nun weit über einem einfachen Dragonerhauptmann, und das ließ er ihn deutlich spüren. Sergej nahm die Beförderung des Mannes mit einem innerlichen Schulterzucken zur Kenntnis. Kirilin entstammte nun einmal einer einflussreichen Familie, die genug Rubel besaß, ihrem Sohn den Weg in höhere Stellen zu ebnen, und es war ebenso müßig, deswegen Neid zu empfinden, wie den Wind zu fragen, warum er bläst.
»Meinen Glückwunsch, Oleg Fjodorowitsch!« Sergej streckte dem anderen mit einer gespielt freundschaftlichen Geste die Hand hin.Kirilin zögerte einen Moment, doch als Lopuchin sich räusperte, ergriff er die Hand und drückte sie.
»Danke, Sergej Wassiljewitsch. Wie du siehst, hat sich mein Einsatz in Sibirien gelohnt. Wie geht es eigentlich unseren Geiseln? Wurden sie schon neu eingekleidet? Wir wollen sie ja schließlich in den nächsten Tagen dem Zarewitsch vorführen.«
Sergej spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Wie es aussah, gab Kirilin sich nicht allein mit der Versetzung in die Garde des Zarewitschs zufrieden, sondern wollte auch den Ruhm ernten, die Geiseln von ihren Stämmen erpresst zu haben.
»In fünf Tagen musst du die Kerle so weit haben, dass sie dem Zarewitsch vorgestellt werden können, Sergej Wassiljewitsch.« Lopuchins Eingreifen entband Sergej einer Antwort, die wohl nicht sehr höflich ausgefallen wäre. Er salutierte erneut, um Zeit zu gewinnen, und fragte den Major, von wem er die Kleidung für die Geiseln erhalten würde.
»Das übernimmt Schischkin.« Lopuchin nickte einem knabenhaft jungen Leutnant zu, der Sergej mit der Faszination eines Mannes anblickte, der Pulverdampf bisher nur vom Übungsplatz her kannte und nun einen Soldaten vor sich sah, der den schrecklichen Schweden im Kampf gegenübergestanden hatte.
»Ich werde mich darum kümmern!«, sagte Schischkin zu Lopuchin gewandt. Sergej nickte trotzdem zufrieden und salutierte ein weiteres Mal vor dem Major.
»Mit Eurer Erlaubnis werde ich jetzt wieder in mein Quartier zurückkehren, Grigorij Iwanowitsch.«
»Noch einen letzten Schluck!«, rief Lopuchin und winkte seinem Burschen, die Gläser zu füllen. Kirilin kam Pawel jedoch zuvor. Sergej sah ihm zu und dachte sich, dass der Mann zwar ein jämmerlicher Offizier und Vorgesetzter war, aber ein brauchbarer Kellner, denn er füllte die Gläser bis zum Rand, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Jetzt wäre ein Toast auf den Zaren und die russische Armeefällig gewesen. Lopuchin aber hob sein Glas auf Russland. »Auf dass alles wieder so werden möge, wie es einmal war!«
Die anderen fielen begeistert in diesen Trinkspruch ein, während Sergej nur auf Russland trank. Er leerte sein Glas aus, reichte es dem Burschen und verließ nach einem letzten Salutieren den Raum. Ihm taten die Hacken weh, so oft hatte er sie in der letzten Stunde zusammengeschlagen.
Kaum war Sergej verschwunden, füllte Kirilin sein Glas, stürzte es hinunter und schüttelte dann den Kopf. »Jakowlew hätte einen Ehrenmann als Boten schicken sollen. Tarlow entstammt wie so viele Knechte des Zaren aus dem Bodensatz des Russischen Reiches. Sein Vater war einer der Ofenheizer im Palast gewesen.«
Um Lopuchins Lippen spielte ein ebenso spöttisches wie überlegenes Lächeln. »Hättest du es nicht so eilig gehabt, nach Moskau zu kommen, hättest du in Ufa Halt machen und Jakowlews Brief selber besorgen können, Oleg Fjodorowitsch. Mach dir aber keine Sorgen, denn es dürfte nicht schwer sein, ein simples Gemüt wie diesen Tarlow zu täuschen. Wenn wir ihn das nächste Mal treffen, trinken wir auf den Sieg des Zaren und denken dabei an unsere wahren
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