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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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daher lobte er ihn so, wie der Bursche es offensichtlich erwartete.
    »Dieser Wodka stammt aus den Vorräten des Zarewitschs. Das ist einer der wenigen Vorzüge, die mir die Verwandtschaft mit ihm einbringt.« Major Lopuchin war hinter Sergejs Rücken eingetreten.
    Sofort entzündete der Bursche eine Lampe und hängte sie an einen Deckenhaken. Jetzt vermochte Sergej seinen Gastgeber zu erkennen. Lopuchin war ein lang aufgeschossener, hagerer Mann um die vierzig mit schütterem Haar und einem scharf geschnittenen Gesicht, dessen eisgrauen Augen jede Wärme fehlte.
    Sergej fand ihn auf Anhieb ebenso unsympathisch wie Jakowlew in Ufa, und er musste sich zu einem herzlichen Lächeln zwingen. »Ich freue mich, Euch zu sehen, Grigorij Iwanowitsch.«
    »Ich hörte bereits, dass du mich sprechen willst, und bin natürlich neugierig. Pawel, füll die Gläser!« Der letzte Satz galt dem Burschen, der dem Befehl auch sofort nachkam. Sergej musste ein zweites Glas Wodka trinken und hinterher gleich noch ein weiteres, da der Major, wie er sagte, nicht auf einem Bein stehen wolle.
    »Ich stehe jetzt schon auf dreien«, versuchte Sergej zu scherzen.
    Der Major fand, dass er nicht hinter seinem Gast zurückstehen dürfe, und schenkte sich selbst ein Glas ein.
    »Entschuldigt, Sergej Wassiljewitsch, wenn ich jetzt allein trinke. Aber als aufmerksamer Gastgeber muss ich meinen Wodka brüderlich mit dir teilen. Das nächste Glas trinken wir dann wieder gemeinsam.«
    Um Gottes Willen nicht, denn sonst bin ich betrunken, bevor ich den Brief übergeben habe, fuhr es Sergej durch den Kopf.
    Lopuchin kam lachend auf ihn zu und fasste ihn um die Schulter. »Aber dieses Glas sollten wir im Kreis von guten Freunden trinken.«
    Er führte Sergej in einen Nebenraum, der durch mehrere Lampen hell erleuchtet und um einiges größer war als das Zimmer, in dem er seinen Gast empfangen hatte. Ein halbes Dutzend Offiziere saßum einen Tisch herum wie zu einer militärischen Lagebesprechung. Während Lopuchin die Männer einzeln vorstellte, entdeckte Sergej den Grenadierhauptmann Oleg Fjodorowitsch Kirilin, den er auf dem Weg von Sibirien nach Westen gewähnt hatte, und wunderte sich über dessen Anwesenheit. Dann aber begriff er, warum Lopuchin ihn hierher gebracht hatte. Alles was er jetzt sagte und tat, geschah vor Zeugen, die jederzeit gegen ihn aussagen konnten. Wenn es wirklich eine Verschwörung gab, würden die anderen einfach behaupten, er wäre mit von der Partie gewesen.
    Ich hätte Lopuchin den Brief übergeben und das Haus sofort wieder verlassen sollen, anstatt mich mit Wodka einlullen zu lassen, schalt Sergej sich, obwohl er wusste, dass eine Ablehnung gegen das Reglement verstoßen hätte. Er überlegte, wie er sich aus dieser Klemme herauswinden sollte, und salutierte übertrieben zackig vor dem Major. »Melde gehorsamst, Grigorij Iwanowitsch, die sibirischen Geiseln wohlbehalten nach Moskau gebracht zu haben.«
    Lopuchins Gesicht zeigte deutlich, dass er etwas anderes erwartet hatte, und er starrte Sergej unter zusammengekniffenen Augenbrauen fragend an. »Das wurde mir bereits mitgeteilt.«
    »Ich würde mich freuen, zu erfahren, welche Befehle für mich vorliegen, denn ich will so schnell wie möglich zu meinem Regiment zurückkehren«, fuhr Sergej ungerührt fort.
    Lopuchin winkte ärgerlich ab. »Das hat Zeit, Sergej Wassiljewitsch. Die Ankunft der Geiseln muss erst dem Zaren mitgeteilt werden. Es wird einige Wochen dauern, bis uns seine Entscheidung erreicht. Bis dorthin bleibst du hier.«
    Sergej salutierte erneut, obwohl er am liebsten geflucht hätte. Hier in Moskau bleiben zu müssen bedeutete für ihn womöglich, die entscheidende Schlacht mit den Schweden zu versäumen.
    »Ich bitte um Verzeihung, Grigorij Iwanowitsch, doch Oberst Jakowlew erteilte mir in Ufa den Befehl, Euch diesen Brief zu überbringen.« Er zog den Umschlag unter seinem Uniformrock hervorund reichte ihn Lopuchin. Der nahm das Schreiben fast gierig entgegen, brach das Siegel und warf einen Blick auf das Blatt. Zufrieden wandte er sich dann an seine Kameraden. »Unser Freund Dimitri Nikolajewitsch schreibt, dass er sich wohl befindet und in Ufa alles unter Kontrolle ist.«
    »Das ist einen Trinkspruch wert!«, rief Kirilin lachend. Es war Sergej schon in Sibirien aufgefallen, dass der Mann übermäßig trank, und so wunderte er sich nicht, dass Kirilin sich eigenhändig einschenkte, statt auf Lopuchins Burschen zu warten. Er brachte auch den fälligen

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