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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ihm.
    »Hier! Du hast deine Ehre und deine Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt, um deine Waffen auch angesichts des Zaren tragen zu können.«
    Schirin starrte auf die glänzende Säbelklinge, die sie vor ein paar Tagen noch mit Begeisterung in den Leib Pjotr Alexejewitschs gestoßen hätte, und wusste nicht, was sie antworten sollte. Es schien ihr auf einmal sinnlos, die Waffe wieder tragen zu dürfen. Da Sergej sie jedoch auffordernd anblickte, stieß sie den Säbel in die Scheide und befestigte auch den Dolch am Gürtel. »So, jetzt bin ich wieder bereit, jedem Beleidiger entgegenzutreten!«
    In ihren eigenen Ohren klangen die Worte viel zu großspurig, Sergej aber nickte anerkennend und lachte dann auf. »Nach dem gestrigen Tag wird es kaum mehr einer wagen, die Klinge mit dir zu kreuzen. Du hast dem Zaren das Leben gerettet, und die Fama wird dirbereits heute die Stärke eines Bären, die Schnelligkeit eines Falken und den Mut eines Löwen sowie die Waffenfertigkeiten eines Ilja Murometz anhängen.«
    Schirin sah ihn misstrauisch an. »Was ist Fama, und wer ist dieser Ilja Murosonstwas?«
    Sergej grinste sie an. »Fama ist nur ein anderes Wort für Gerücht, für etwas, das immer wieder erzählt wird, bis es auch der letzte Muschik gehört hat, und Ilja von Murom gilt als der größte Recke der Kiewer Rus und vielleicht sogar des ganzen russischen Volkes.«
    »Dann müsste ich von ihm gehört haben!« Schirin tat seine Worte mit einer zweifelnden Handbewegung ab und deutete mit dem Kinn zur Tür. »Was ist mit dem Essen? Ich habe Hunger!«
    »Nicht nur du, Söhnchen. Meine Eingeweide fühlen sich an, als hätten sie seit Ewigkeiten nichts mehr zu verdauen gehabt. Außerdem brauche ich unbedingt ein großes Glas Wodka.« Wanja öffnete die Tür, schnupperte prüfend und machte sich auf den Weg. Sergej folgte ihm lachend, während Ostap seinem großen Freund Bahadur einen fragenden Blick zuwarf, weil dieser sinnend vor sich hin starrte, statt den beiden Russen zu folgen.
    Schirin schüttelte sich kurz, denn ihr war klar geworden, dass die Russen sie nun mit anderen Augen ansehen würden, und damit musste sie in Zukunft noch mehr auf der Hut vor Entdeckung sein als bisher. Da ihr Magen bedenklich knurrte, schob sie ihre Ängste beiseite und schloss zu Sergej auf.
    »Wo sind wir eigentlich?«, fragte sie ihn.
    »Im Palast des Fürsten Apraxin. Anders als das Palais Menschikow ist dieses Gebäude bereits fertig gestellt.«
    »Es ist aber auch einige Stücke kleiner geraten«, ergänzte Wanja und erklärte dann Ostap, welch riesigen Palast der ehemalige Pastetenverkäufer und jetzige Vertraute Zar Pjotrs sich errichten lassen wollte. »Das Geld hat er dazu, denn er ist der reichste Mann in ganz Russland – bis auf den Zaren natürlich.«
    Der Junge sah ihn verständnislos an. »Aber warum wohnt der Zardann in einem kleinen Holzhaus, während seine Wesire und Offiziere große Paläste besitzen?«
    »Diese Frage stellt sich ganz Russland, und die kann dir nur der Zar selbst beantworten.« Wanja war froh, als sie den Speisesaal erreichten, denn Ostap sah ganz danach aus, als wolle er ihm Löcher in den Bauch fragen, und das war seinem Appetit nicht zuträglich.
    Fürst Apraxin ließ sich nicht blicken, aber sein Koch hatte alles getan, um für seinen Herrn Ehre einzulegen. Die meisten Speisen waren Schirin unbekannt, obwohl sie auf den mehr als tausend Werst zwischen ihrer Heimat und diesen Sümpfen mehr kennen gelernt hatte, als sie sich im Ordu hätte vorstellen können. Allein schon der Duft ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen, und sie war nicht nur wegen des Anteils an Schweinernem froh, dass der Diener ihr beim Servieren genau erklärte, um was es sich handelte. Der erste Gang bestand aus einer cremigen Rebhuhnsuppe, dazu gab es im Teigmantel gebackene Rehmedaillons und Käsegebäck. Noch während Schirin überlegte, ob die aufgetragene Menge für sie und ihre Begleiter reichen würde, brachten die Diener gebratene Lachsstreifen, eine Schüssel voller Dinge, die wie flache Steine aussahen und Austern genannt wurden, und eine Schüssel Kaviar herbei. Schirin stellte erleichtert fest, dass auch die anderen die Steine misstrauisch musterten. Sergej wollte seine Unwissenheit den Dienern nicht auf die Nase binden, sondern nahm eine dieser Austern und brach sie mit dem Messer auf. In ihrem Innern befand sich eine weiche, wabbelnde Masse, die er zuerst vorsichtig, dann aber mit sichtlichem Genuss

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