Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
schon nach kurzer Zeit durch den Tod oder die Gefangennahme des Zaren enden, so dass der Weg für Verhandlungen frei wäre. General Gjorowzew war diese Aussicht jedoch zu dürftig. Sein Blick streifte den Zarewitsch, der zwischender ihm anerzogenen Treue eines Sohnes zu seinem Vater und der Hoffnung schwankte, diesen bald beerben und Russland zu jenem Land machen zu können, welches er und sein Beichtvater sich vorstellten. Dem General war klar, dass Alexej Petrowitsch es niemals wagen würde, offen gegen seinen Vater Partei zu ergreifen, und wechselte daher einen beredten Blick mit Ignatjew.
    Der Pope nickte dem Zarewitsch zu und wies dann mit der Hand zur Tür. »Verzeiht, Eure Hoheit, aber würdet Ihr uns für einen kurzen Moment allein lassen? Ich sehe, der ehrenwerte Pawel Nikolajewitsch wünscht, im Gespräch mit mir sein Herz zu erleichtern.«
    Der Zarewitsch begriff, dass die Männer Dinge zu bereden hatten, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. Es schien ihm jedoch nichts auszumachen, dass man Geheimnisse vor ihm hatte, denn auf diese Weise erfuhr er nichts, was sein Gewissen belasten konnte. Bevor er ging, verbeugten sich die anwesenden Offiziere der Reihe nach vor ihm und küssten ihm die Hand.
    Es blieb still im Raum, bis die Tür sich hinter Alexej Petrowitsch schloss, dann schlug Gjorowzew mit der geballten Faust in die Hand, dass es klatschte. »Wir dürfen nicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten, bis der Himmel uns von Pjotr Alexejewitsch erlöst, sondern müssen handeln.«
    Fjodorow fuhr auf. »Ihr denkt doch nicht etwa an ein Attentat auf den Zaren?«
    »Notfalls ja!«, antwortete der General. »Russland braucht wieder einen Herrn, der in Moskau regiert und ein geneigtes Ohr für die Ratschläge seiner Getreuen besitzt.«
    »Alexej Petrowitsch wird unser Zar sein!«, erklärte Ignatjew salbungsvoll und winkte die anderen zu sich heran.

VII.
    Als Schirin am Tag nach dem Fest erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Sie lag in einem großen, weichen Bett unter einem dunkelblauen, mit goldenem Wappen geschmückten Betthimmel und war bis auf die Stiefel und den Mantel vollständig bekleidet. Um sie herum erklang ein mehrstimmiges Schnarchkonzert, und als sie sich umdrehte, erklang neben ihr ein unwilliges Grummeln. Sie hielt vor Schreck die Luft an, denn sie lag direkt neben Sergej, der seine Decke abgestreift hatte und ihr seine nackte Brust zuwandte. Einen Augenblick hörte es sich so an, als würde er aufwachen, doch dann sank er wieder in tiefen Schlaf.
    Langsam erinnerte Schirin sich daran, dass sie, Sergej, Ostap und Wanja lange nach Mitternacht in diesen Raum geführt worden waren. Sergej war so betrunken gewesen, dass Wanja ihn hatte ausziehen und ins Bett legen müssen. Der Wachtmeister hatte nicht weniger getrunken als sein Vorgesetzter, aber er vertrug den Schnaps besser. »Du bekommst den guten Platz an Väterchen Sergejs Seite«, hatte er noch gebrummt und sich auf dem primitiveren Lager in der Ecke zusammengerollt. Kaum hatte er die Decke über sich gezogen, war er schon eingeschlafen, genauso wie Ostap, der sich klaglos an seine Seite gekuschelt hatte. Da Schirin nicht auf dem kalten, schmutzigen Fußboden hatte schlafen wollen, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als vorsichtig neben Sergej in das große Bett zu schlüpfen.
    Während der Reise von Karasuk nach Sankt Petersburg hatte sie oft mit anderen Leuten in einem Raum schlafen müssen, aber dabei hatte sie sich niemals so unbehaglich gefühlt wie in Sergejs Nähe. Es war etwas anderes, sich in einer dunklen Ecke in seine Decke zu hüllen, als Seite an Seite mit einem beinahe unbekleideten Mann zuliegen. Sie wollte sich abwenden, aber ihr Blick kehrte unwillkürlich zu ihm zurück. Ihr wurde bewusst, dass er auch im Schlaf gut aussah. Im Ordu ihres Stammes würden ihm die Blicke der Frauen und Mädchen heimlich folgen, wenn er so zum Fluss ginge, um sich zu waschen.
    »Du bist genauso dumm wie die anderen Weiber und lässt dich von einer glatten Haut und einem hübschen Gesicht einfangen!« Der Klang ihrer eigenen Stimme brachte Schirin zu Bewusstsein, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Erschrocken musterte sie die drei Schläfer, doch die schnarchten immer noch um die Wette.
    Ihre Blase meldete sich, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sich der Abtritt befand. Vielleicht gab es auch gar keinen, und die Bewohner mussten ihre Notdurft in Töpfe verrichten, die unter die

Weitere Kostenlose Bücher