Die Tatarin
Hengst unseres tatarischen Freundes bereitstehen. Und was dich betrifft«, er überlegte kurz und klopfte Bahadur dann auf die Schulter. »Ich hätte dich gerne auf einem Schiff gesehen, doch verstehe ich deine Gefühle für deinen vierbeinigen Kameraden. Also wirst du in Sankt Petersburg bleiben und Hauptmann Tarlow dabei unterstützen, seine tatarischen Reiter zu führen. Dafür ernenne ich dich zum Fähnrich der russischen Armee! Als solcher brauchst du natürlich auch einen guten russischen Namen. Ab sofort bist du Bahadur Bahadurow, Fähnrich des Zaren!«
Das letzte Wort hatte kaum seine Lippen verlassen, als er sich schon den übrigen Geiseln zuwandte. Sofort meldete sich Kirilin zu Wort. »Euer Majestät, da Ihr diesen Tataren dort dem Hauptmann Tarlowunterstellt habt, bitte ich um die Gunst, die von mir gewonnenen Geiseln unter mein Kommando stellen zu dürfen.«
»Such dir drei von den Kerlen aus! Der Rest wird unter andere Regimenter verteilt.« Pjotr Alexejewitschs Stimme klang so uninteressiert, als habe er seine Gedanken schon auf ein anderes Ziel gerichtet. Er drehte sich um, stieg in die Kutsche und streckte den Kopf zum Schlag hinaus. Um seine Lippen spielte ein Lächeln. »Halte dir Lybeckers Armee vom Hals, Apraxin, sonst lasse ich ihn dir lang ziehen.«
Der Gouverneur von Sankt Peterburg nickte, salutierte dann lässig und verabschiedete sich mit einem selbstsicheren Lächeln. Nun klatschte der Zar in die Hände, und der Kutscher ließ die Peitsche über den Ohren des Sechsergespanns tanzen, obwohl Jekaterina und Marfa Alexejewna noch nicht in ihr Gefährt eingestiegen waren. Die ältere Frau starrte Bahadur an und machte einen Schritt in seine Richtung, als wolle sie ihn noch einmal von nahem sehen.
Jekaterina fasste sie um die Schultern und hielt sie auf. »Wir müssen losfahren, Schwesterchen. Du weißt, Väterchen Zar liebt es nicht, aufgehalten zu werden.«
»Ich wollte ihn noch so viel fragen«, flüsterte Marfa mit Tränen in den Augen. Jekaterina wusste, dass sie damit nicht den Zaren, sondern den jungen Tataren meinte, der mit verschlossener Miene vor sich hin starrte und ihre Freundin nicht einmal zu bemerken schien.
»Vertraue auf Gott, Marfa Alexejewna. Wenn Er es will, wirst du den Tataren wieder sehen und ihn fragen können, ob er wirklich dein Neffe ist. Heute würde seine Antwort gewiss nicht freundlich ausfallen.« Sie schob ihre Gefährtin mit sanfter Gewalt in die Kutsche und stieg hinter ihr ein. Ein Soldat der Begleitmannschaft schloss den Schlag und gab dem Kutscher der Damen das Zeichen, dass er losfahren konnte.
Während sich der kaiserliche Reisezug in Bewegung setzte, blieb Schirin als Opfer widersprüchlicher Gefühle zurück. Sie hatte erneut versagt und den Feind ihres Volkes verschont, und nun hatteder Zar auch noch einen Russen aus ihr gemacht. »Bahadur Bahadurow!« Sie spie diesen Namen förmlich aus.
Ostap zupfte an ihrem Ärmel. »Was meinst du, Bahadur, wird der Zar mir später einmal erlauben, mich Ostap Ostapow zu nennen?«
Schirin schluckte die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, voller Ingrimm hinunter, denn sonst hätte sie einen Freund verloren.
VIERTER TEIL
Sankt Petersburg
I.
Nach der Abreise des Zaren kehrte in Sankt Petersburg zunächst einmal Ruhe ein. Die Arbeiten an der Peter-und-Paul-Festung und in den anderen Teilen der Stadt gingen zwar weiter, aber bei weitem nicht mehr so rasch wie in den Tagen, in denen Pjotr Alexejewitschs Auge über ihnen gewacht hatte. Zu viel Schlendrian aber durfte Gouverneur Apraxin sich nicht leisten, denn ihn würde der Zar als Ersten zur Rechenschaft ziehen, wenn die Arbeiten in der Stadt zu weit hinter den Planungen zurückblieben. Doch der Mangel an Baumaterial, Unterkünften und Lebensmittel für das Heer der Zwangsverpflichteten, die die Vision ihres Herrschers zum Leben erwecken sollten, machte Apraxin derzeit weniger zu schaffen als der Mangel an Soldaten.
Während General Lybecker allen Berichten zufolge in Finnland seine Truppen drillte und den Vormarsch auf Sankt Petersburg vorbereitete, tröpfelten die vom Zaren zugesagten Verstärkungen mehr, als sie flossen. Einerseits war Fjodor Apraxin froh darüber, denn er hätte kaum gewusst, wie er die Leute den Winter über würde ernähren können, andererseits aber wuchs mit jedem Tag die Gefahr, dass Lybeckers Schweden eher vor der Stadt auftauchten als die eigenen Truppen. In dem Fall würde General Gjorowzew bei seiner Ankunft statt von der
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