Die Teeprinzessin
Gesichtsausdruck und hoch gehobenen Pfoten durch das hohe feuchte Gras.
Betty ließ sich auf die schmiedeeiserne Bank fallen. Die Spange aus dem Haar zu ziehen, war schwieriger, als sie gedacht hatte. Die Spange hatte sich wie ein gordischer Knoten in ihre Haare geschlungen und hielt sie im Nacken umschlossen, fest und sanft zugleich. Es ziepte. Sie zog und zerrte und brauchte Minuten, um sie herauszuziehen. Dann hielt sie sie endlich in den Händen. Ihre Haare fielen ihr wieder bis weit über die Schultern, und das nun schon zum dritten Mal an diesem Tag.
Die Spange war wunderschön. Betty war sich sicher, dass sie niemals zuvor einen auch nur im Entferntesten ähnlichen Gegenstand gesehen hatte. Das war keine gewöhnliche Haarspange. Es war eine breite Schließe aus feinem Silber, dessen
Mittelteil ein schimmernder blauer Stein in der Form eines Hasen bildete. Umrahmt war der Hase von winzigen silbernen Blättern, die wie die Glieder einer kleinen Kette miteinander verschlungen waren. Vielleicht gehörte dieser seltsame Gegenstand eher zu einem Gürtel oder er war Teil einer Brosche? Und vielleicht fiel es ihr deswegen so schwer, die Spange noch einmal ins Haar zu setzen? Sie hätte sich zu gern einmal damit im Spiegel betrachtet.
Sie drehte die Spange in ihren Händen und wusste nicht, wie man sie verwendete. Sie sah aus, als berge sie ein Geheimnis. John Francis Jocelyn, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Im gleichen Moment ärgerte sie sich. Wie konnte sie nur an die sen fremden jungen Mann denken! Sie würde ihm die Spange zurückbringen und dann würde sie ihn einfach vergessen. Einen ungehobelten Kaufmann aus der Fremde, der es wagte, sie, Betty Henningson, Tochter eines Silberschmieds, aufzufangen und dann auch noch für schwer zu befinden.
Aber wie hatte Francis ihr nur die Spange ins Haar gesetzt? Sie fühlte noch seine Hände, errötete deswegen bereits wieder, ärgerte sich darüber und konnte sich doch nicht daran erinnern, welche Handgriffe er gemacht hatte. An der Unterseite der Spange gab es eine einfache Schlaufe aus einem feinen rötlichen Metall. Aber wie sollte man ihr dickes Haar dort nur hindurchfädeln?
Bestimmt kam das Schmuckstück auch aus China. Sie strich mit der Hand über den blauen Stein und steckte die Spange dann in die Tasche ihres Kleides. Am besten war es wohl, wenn sie sich ins Haus zurückschlich und sich als Erstes wieder etwas zurechtmachte. Dann würde sie Frau Pannfisch zu den Asmussens schicken, damit sie die Schließe zurückgeben konnte. Oder, noch besser, sie schickte Anton damit, den traf schließlich eine Mitschuld an der ganzen peinlichen Angelegenheit.
Und er konnte ihr auch gleich ihre eigene Haarspange zurückgeben.
2
»Da bist du ja! Warum bist du denn so schnell weggelaufen?« Antons helle Augen blickten wie immer etwas erschrocken. Jetzt ließ er sich neben sie auf die Bank fallen. Sie fühlte die Wärme seines weichen Körpers und das beruhigte den Aufruhr in ihren Gedanken sofort.
»Betty! Dein Vater ruft dich!« Die Stimme vom anderen Ende des Gartens her war schrill. Das war Frau Pannfisch. Betty ärgerte sich, weil die Alte immerzu versuchte, sie zu erziehen. Und natürlich hatte ihr Vater nicht nach ihr gerufen, das hätte sie schon gehört. Frau Pannfisch hatte wohl nur gesehen, wie Anton durch die Gartenpforte geschlüpft und zur Laube gestrebt war.
Anton schnitt eine Grimasse. »Die Alte soll dich doch endlich mal in Ruhe lassen. Komm mit zum Deich. Ich muss dir von dem Streit erzählen, den ich mit meinem Vater hatte. Ich glaube, er will mich loswerden. Heute Morgen hat es schon angefangen. Und dass dann plötzlich dieser fremde Kaufmann aufgetaucht ist und gefragt hat, ob ich mit nach Hinterindien reisen soll, kann doch auch kein Zufall sein. Komm bitte schnell mit, Betty! Es ist schrecklich!« Es war ihm deutlich anzusehen, wie aufgeregt er war. »Jetzt schleicht die alte Pannfisch schon da vorn im Gemüsegarten herum. Hier können wir uns nicht in Ruhe unterhalten!«
»Ist der fremde Kaufmann noch bei euch?«, fragte Betty und ordnete im Aufstehen ihr Kleid. »Ich fand ihn ganz und gar gewöhnlich und aufdringlich!«
Anton schüttelte den Kopf. »Gewöhnlich? Nein, das war er sicher nicht. Er hat vor seiner Abreise gesagt, dass er zu den Teehändlern nach Bremen und Hamburg weiterreisen und dann noch einige Silberschmiede in Holland besuchen will. Mein Vater sagt, er ist gewiss ein guter Geschäftsmann und auch nicht aufdringlich. Aber er
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