Die Teeprinzessin
wartete, bis Anton seine Jacke ausgezogen und ins Gras gelegt hatte, dann raffte sie ihre Röcke etwas hoch und ließ sich daraufplumpsen. Anton nahm schräg neben ihr im Gras Platz und hielt mindestens sechs Fuß Abstand, so wie es sich gehörte.
»Vater will, dass ich bald eine Lehre anfange. In einem anderen Handelshaus.« Anton stöhnte. »Damit ich auf andere Gedanken komme.«
Betty riss einen Grashalm aus und zupfte die kleinen wei ßen Blüten ab, die er gebildet hatte. »Hast du mit ihm einmal über die Fotografie gesprochen? Mein Vater sagt, in Leer gibt es jetzt schon zwei neue Studios für Fotografie. Und in Hamburg müssten es bestimmt Dutzende sein. Was sage ich,
Hunderte!« Sie warf den Grashalm fort und riss einen weiteren aus.
»Hamburg? Wie kommst du darauf? Hat dein Vater irgendetwas gesagt? Oder warum sprichst du ausgerechnet von Hamburg?« Wenn Antons Stimme derartig verschnupft klang, war er wirklich verstimmt.
Betty zuckte erschrocken mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Ich habe das nur so dahingesagt, weil es die größte Stadt ist, von der ich gehört habe. Außer London natürlich. Und Paris. Und einigen anderen Städten. Ich wollte doch nur sagen, wo es jetzt schon überall Fotografen gibt. Was ist so schlimm an dem Wort Hamburg?«
»Tut mir leid, ich habe es nicht so gemeint«, sagte Anton versöhnlich. »Es ist nur komisch, weil mein Vater heute Morgen auch von Hamburg gesprochen hat. Es gibt dort eben Dutzende Teehandelshäuser und nicht nur zwei, wie hier bei uns. Er will, dass ich dort eine Lehre mache, bei einem befreundeten Kaufmann, der auch eine Niederlassung in Hamburg hat und eine in Kanton. Aber das kann ich nicht. Du weißt doch, dass ich das nicht kann! Ich hasse diese verdammten Teekrümel. Ich mag den Geruch nicht und ich mag sie nicht anfassen. Weißt du noch, wie damals die ekelhafte Schlange aus einer der Kisten gekrochen ist?«
Daran erinnerte Betty sich allerdings noch sehr gut. Der Lagermeister Smit hatte fast einen Herzschlag bekommen, als sich das lange braune Tier aus der Kiste kringelte. Anton hatte einen gurgelnden Schrei ausgestoßen und war wild um sich fuchtelnd hinausgerannt. Betty indes fand das Tier vor allem interessant. Allein wie es sich bewegte. Und die Schlange wirkte keineswegs besonders unternehmungslustig, sondern eher, als sei sie froh, endlich der dunklen Kiste entkommen zu sein. Zudem wusste man ja, warum sie in der Teekiste gewesen
war. »Aber das war doch nur, weil die Händler in Kanton die Kiste schwerer machen wollten, um auf das Gewicht von 65 Pfund zu kommen, das kann man aus ihrer Sicht doch verstehen«, sagte Betty. »Manchmal legen sie ja sogar Steine hinein. Aber die Schlange ist bestimmt eher zufällig hineingekrochen, und niemand hat sich die Mühe machen wollen, sie herauszuziehen. Schließlich war man froh über das Extragewicht, das die Kiste auf die Waage brachte. Du weißt doch, das war im vorletzten Jahr, als die Teepreise plötzlich gestiegen waren.« Als Smit die Schlange mit einem Spaten in zwei Hälften hackte, hatte sie weggesehen und selbst fast aufgeschrien, als sie das Geräusch zermatschenden Fleisches hörte und das Klingen des Spatens auf dem Steinboden.
»Wenn man dich so hört, könnte man denken, DU solltest lieber bei Vater eine Lehre machen oder irgendwo bei einem großen Teehandelshaus in Hamburg!«
Betty seufzte. »Du weißt genau, wie gern ich das täte! Nur dass niemand mich als Lehrling nehmen würde. Sie würden doch sofort merken, dass ich ein Mädchen bin. Da müsste ich mich schon als Anton verkleiden. Und du würdest solange bei meinem Vater als Betty herumlaufen, ein Mieder anziehen und ein schönes Kleid mit Rüschen, und Silber polieren!« Sie kicherte.
»Wäre mir jedenfalls lieber, als dauernd bitteren Tee zu probieren und ihn zu verschachern und mir anzuhören, warum ein Teehändler vor Schlangen keine Angst haben darf!«
»Wenn ich plötzlich einen Flaum am Kinn hätte, würde es bei mir zu Hause ohnehin niemand merken!« Betty rollte sich auf den Bauch, streckte den Arm aus, stupste Anton an und musste noch mehr lachen.
Aber Anton schüttelte nur ernst den Kopf. »Da wäre ich mir aber nicht so sicher! Wenn ich allein an den Gesellen Elkhuber
denke! Wie der dich immer ansieht aus seinem langen Gesicht, einfach ekelhaft!«
Betty ging gar nicht auf ihn ein. »Ich kann mir aber gar nicht vorstellen, dass dein Vater dich zu einer Lehre zwingen will, die du nicht möchtest. Mein Vater
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