Die Teeprinzessin
in den Sommerhimmel hinauf. Sie kräuselte sich genau über dem Teehandelshaus Asmussen und darunter stand der halbe Dachstuhl in Flammen. Schon begann die Kirchenglocke ihr schnelles Geläut, das den Gefahren durch Sturm, hohe Fluten und Feuer vorbehalten war. Betty fuhr der hohe sirrende Ton bis ins Mark. »Euer Haus brennt!«
»Die Talgkerze auf dem Zwischenboden«, antwortete Anton wie zu sich selbst. »Ich habe vergessen, sie auszumachen, als ich so schnell zu dir herübergerannt bin! Ich dachte, dass dieser Fremde hinter dir hergelaufen ist. Weil er sich gleich nach dir verabschiedet hat. Ach, Betty! Jetzt ist alles aus!« Anton
sprang auf die Füße und rannte in Richtung des Feuers, ohne von Betty weiter Notiz zu nehmen. Betty raffte seine Jacke an sich und eilte ihm hinterher.
Die Straßen schienen menschenleer zu sein, nicht einmal auf dem Marktplatz war mehr eine Menschenseele zu sehen. Nur die beiden alten Kapitäne Pollmann und Nevermann, die beide nicht mehr gut laufen konnten, bewachten noch die Marktstände für die Händler und fuchtelten hinter Betty her, als sie an ihnen vorbeistürzte.
Die Nachbarn hatten bereits eine Löschkette gebildet, als Betty atemlos das Handelshaus der Familie Asmussen erreichte. Sie warf Antons Jacke über eine Hecke und reihte sich ohne nachzudenken hinten mit ein, da, wo die anderen Frauen und Mädchen die Eimer, in denen das Wasser schwappte, von Hand zu Hand reichten. Wie es aussah, stand das ganze Lager in Flammen, in dessen Kontor sie am Morgen aus der Luke gefallen war. Immerhin schien die Brandmauer zum Wohnhaus der Asmussens bislang zu halten. Der Wind war eingeschlafen. Oben am Himmel stand eine einzige starre weiße Wolke, so als sähe sie dem Brand zu. Der Rauch zog fast gerade in den frühsommerlichen Himmel hinauf.
Die Pumpe, an der drei Männer wie um ihr Leben pumpten, stand mit einer ihrer Stützen bereits auf dem Grundstück der Henningsons, von dort führte ein weiterer dicker Schlauch bis in ihren Brunnen, der von Frau Pannfisch überwacht wurde.
Anton hatte sich vorne bei den Männern mit eingereiht. Betty sah seinen schmalen Rücken und die sich über dem Hemdkragen kräuselnden Locken. Anton hielt den Kopf gesenkt, hievte die Eimer und gab sie weiter, ohne seinen Nachbarn in der Löschkette anzusehen. Zitterte er oder war das nur die in der Feuersbrunst flackernde Luft? Bettys Augen brannten.
Einer der emsigsten Löschhelfer schien der Geselle Elkhuber zu sein. Er war der Vorderste in der Kette, allerdings stand er auf der westlichsten Leiter, die vom Qualm noch nicht umwabert war. Der Geselle brüllte mit seiner lauten Stimme und in seinem schwäbischen Tonfall Kommandos hinunter, die keiner verstand und die keiner brauchte, weil hier ein jeder wusste, was er zu tun hatte. Elkhuber schüttete mit seinen langen Armen einen Eimer Wasser nach dem anderen ins Feuer, dass es nur so spritzte, und besaß sogar die Frechheit, nebenbei noch zu Betty herunterzuwinken. Betty tat, als habe sie das nicht gesehen.
Von außen wurde der Dachstuhl mithilfe langer brauner Feuerwehrschläuche gelöscht. Als der braune Qualm in einem Augenblick von einem Lüftchen ganz auf die Ostseite des Dachstuhls gedrückt wurde, konnte Betty sehen, wer die Löscharbeiten anführte. Albert Asmussen selbst stand mit auf der obersten Stufe auf einer der Leitern, die an die Südwand des Hauses angestellt waren, und hielt eine der schweren Düsen. Auf einer der anderen Leitern entdeckte Betty ihren Vater, der offenbar seinem Freund in seiner schweren Stunde beistehen und helfen wollte. Berthold Henningson hielt sich schwankend auf einer der höchsten Leitern, und auch von hier unten konnte Betty sehen, dass sein Gesicht bleich und eingefallen war und dass er alle Kräfte zusammennehmen musste, um die schweren Wassereimer über die Traufe in das rauchende Feuer zu kippen. Sie wollte nach dem Vater rufen, aber ihre Stimme erstarb.
Der Gestank des brennenden Tees und des schweren alten Holzes waren fast unerträglich. Die Männer auf den Leitern husteten. Manche hatten sich nasse Lumpen vor die Gesich ter gebunden. Aber das schien auch nicht viel zu helfen. Betty schluckte. Wenn nur ihrem Vater nichts geschah! Und Anton!
Brennender Tee schien noch schlimmer zu sein als brennendes Stroh.
Der Rauch biss ins Innere von Nase und Augen und drang über die Atemluft auch in Mund und Lungen ein, wo sich bald ein Geschmack von Bitternis ausbreitete, der so stark war, dass einige der
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