Die Teeprinzessin
Untergebenen praktisch nichts allein entscheiden dürften. Sie selbst allerdings sei ohnehin nicht vom Tode bedroht. Einer ihrer einflussreichen Freunde würde gewiss bald eine Kaution für sie stellen. Die meisten Gefangenen kämen auf diese Weise frei.
Sehr tröstlich fand Betty diese Mitteilung nicht. Wer könnte Sikki und sie hier herausholen? Und wer wusste überhaupt davon, dass sie hier waren? Ohne dass sie darüber gesprochen hatte, schien auch Sikki ähnliche Gedanken zu hegen. Ob es vielleicht gelingen könnte, Mister Burman eine Nachricht zu schicken und ihn um die Zahlung einer Kaution zu bitten? Betty konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass er überhaupt über genug Geld verfügte.
Draußen ging wieder ein warmer Sturzregen nieder. Die Luft wurde feuchter, ohne jedoch abzukühlen. Grüner Moderduft drang in ihr Gefängnis. Einige dicke Spinnen flüchteten durch die schmalen Scharten in den Wänden ins Innere des Raumes. Zwei Frauen machten sich einen Spaß daraus, sie mit Kügelchen aus Stroh zu beschießen und zu beobachten, wie die
Spinnen sich duckten, dann meterweit sprangen und die anderen Gefangenen zum Kreischen brachten.
Da wurde plötzlich die Tür aufgestoßen und eine Gruppe von weiß gekleideten Kriegern in schwarzen langen Westen stürzte zur Tür hinein. Ihre Schädel waren an den Seiten kahl rasiert und die Haare in der Mitte zu einem langen Zopf geflochten. Einige von ihnen hielten blitzende Säbel in den Händen. Martialischer indes sahen diejenigen aus, die keine sichtbaren Waffen trugen. Viele der Frauen hielten sich die Hände vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Andere begannen zu wimmern. »Das sind Kämpfer der Weißen Tiger!«, flüsterte die junge Frau neben Betty. »Der Himmel stehe uns bei!«
»Sie sind fast so gekleidet wie Dayun, der Diener von Mister Jocelyn!«, wisperte Sikki. »Ob das etwas Gutes verheißt?«
»Wohl kaum.« Betty war sich sicher, dass dies ein Zufall war. Den Zopf trugen ja offenbar viele der kaisertreuen Chinesen und dunkle Weste und eine weiße Tracht waren schließlich auch nichts Besonderes. Die Männer verharrten im Raum und musterten eine Gefangene nach der anderen, dann nahmen sie Betty ins Visier. Sie blafften etwas in einer Sprache, die Betty nicht verstand, stürzten auf sie zu, erhoben ihre Säbel und schlugen mit jeweils einem Hieb die Ketten von den Wänden. Der Luftzug war an ihren Handgelenken vorbeigezogen wie Eiswind, dachte Betty. Ihre Handgelenke schmerzten, die Haut jedoch war völlig unverletzt. Wen würden sie zuerst ermorden? Sikki oder sie selbst?
Sikki hatte sich unterdessen vor den Kämpfern ins Stroh geworfen und flehte um das Leben ihrer Herrin, bekam dafür jedoch nur einen Fußtritt eines Kämpfers und bald darauf einen zweiten. Sie wimmerte und flehte weiter. Was wollten diese Männer von ihnen? Betty sah fast mit Erleichterung, dass sie sich nun an ihrem Tragebeutel zu schaffen machten und den
Inhalt auf den Boden schütteten. Vielleicht waren es nur gewöhnliche Räuber, die nach Wertgegenständen suchten und diese am ehesten bei zwei Ausländerinnen vermuteten. Fast war sie schon froh, als nun einer der Kämpfer ihre Brosche aufhob und sie den anderen zeigte. Aber das Schmuckstück schien sie nicht zu erfreuen. Sie wechselten einige knappe Worte, dann warfen sie Betty ihre Habseligkeiten wieder zu und forderten sie auf, alles wieder zu verstauen. Draußen auf der Treppe hörte man nun Schritte. Die Kämpfer ließen von Betty und Sikki ab, schossen lautlos wie weiße Blitze durch den Raum und nahmen hinter der Tür Aufstellung.
Doch die Schritte verhallten. Zwei der Kämpfer nahmen Betty in ihre Mitte, zwei weitere stellten sich neben Sikki. Die übrigen Frauen im Raum verfolgten starr vor Schrecken, wie nun einer der Kämpfer behutsam die Tür aufzog und auf den Flur hinausspähte. Betty hatte sich unterdessen entschlossen, sich nicht von den Männern wegbringen zu lassen und not falls erbitterten Widerstand zu leisten. Doch kaum hatte sie den Gedanken gefasst, als sie plötzlich spürte, wie sich ein Griff um ihren Hals schloss und wie ihr die Beine versagten. Dann wurde um sie herum alles schwarz.
4
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war und wo sie war. Sie spürte nur, dass jemand ihre Fesseln abgenommen hatte und dass sie frei von Schmerz war. Sie lag in einem kleinen holzgetäfelten Raum auf einer Bambusliege, neben ihr, wie es aussah, ebenfalls unverletzt, schlief Sikki mit offenem Mund. Ein
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