Die Teeprinzessin
sich und nahm einen Schluck von dem Tee, den Sikki aus einer bemalten geraden Kanne in eine kleine Tonschale eingoss. Der Tee schmeckte besser, als sie befürchtet hatte, zumindest hatte er genau die richtige Bitterkeit.
»Und nun verlassen wir dieses Loch, nun wollen wir sehen,
was es auf dem Markt zu kaufen gibt! Sie werden überrascht sein!« Offenbar konnte Sikki es gar nicht erwarten, Betty aus dem Haus zu komplimentieren. Sie hätte fast aufgeschrien, so hell war es draußen. Die Sonne brannte so in ihren Augen, dass diese sofort zu tränen begannen. »Warte auf mich, Sikki, nicht so schnell!«
Aber Sikki war nicht aufzuhalten. »Bitte beeilen Sie sich, Miss, ich muss Ihnen etwas Wichtiges zeigen!«
Zu beiden Seiten der schmalen Straße hatten Händler ihre Stände aufgebaut. Manche hatten einen richtigen kleinen Holzladen, hinter dem sie hockten. Andere hatten ihre Ware auf einem Tuch ausgebreitet. Es gab Uhren und Ringe, Schnitzereien aus Elfenbein und Flaschen aus gebogenem Glas, Tischchen mit kunstvollen Intarsienarbeiten und offenbar auch Gegenstände, die nicht ausgestellt werden konnten. Betty sah einen Händler, der einen jungen Briten am Ärmel zupfte und ihn in ein Gelass hinter seinem Verkaufsstand zog, um ihm dort einen Gegenstand zu zeigen, der in einer kleinen Holztruhe lag!
»Ich hatte eigentlich gedacht, dass es hier Früchte geben würde. Wir müssen etwas essen, Sikki!«
Aber Sikki schüttelte nur den Kopf und eilte weiter voran. »Nicht jetzt, Miss, bitte später!«
»Was ist das für ein eigenartiger Markt? Ich sehe überhaupt keine Speisen!«
Sikki nickte und zog sie weiter, indem sie nun Bettys Hand ergriff. »Ich habe vorhin ein indisches Mädchen getroffen, das hier für einen Kaufmann aus Bombay den Haushalt versieht. Sie sagt, dass dieses der Markt der Diebe sei. Und dass es auch einen Friedhof der Diebe gäbe! Die chinesischen Behörden dulden es, damit sich die Diebe wenigstens nicht in der ganzen Stadt ausbreiten. Und die Rebellen des Taiping dulden
den Markt, weil hier angeblich kein Opium verkauft wird, sondern nur Diebesware.«
Eigentlich war die Straße recht hübsch, fand Betty. Es duftete nach edlen Hölzern und feinsten Stickereien, nach glänzend poliertem Leder und nach altem Gold. Und es duftete nach Tee. Nach einem ganz besonderen Tee. Betty konnte ihn wahrnehmen, bevor sie ihn sah. Oder spielte ihr nur die Fantasie einen Streich?
»Sehen Sie nur!« Sikki war vor einem Marktstand stehen geblieben, der von Dutzenden von Einheimischen umringt war. Der Stand bestand aus kaum mehr als einem einzigen hohen Tisch. Auf dem Tisch stand ein großes Paket, das an den Rändern mit rotem Seidenband eingefasst war. Es war eines ihrer Teepakete - der Tee aus dem Garten der schlafenden Prinzessin. Betty schloss die Augen und sog den Duft ein. Er war nur schwach, aber unverkennbar. Offenbar hatte jemand eine Probe genommen und das Paket nicht wieder sorgfältig verschlossen. Betty glaubte zu taumeln, aber Sikki hielt sie eisern fest. »Das ist unser Tee!«
»Ich weiß. Ich hole ihn mir zurück!«
Sikki schüttelte den Kopf. »Nein. Wir müssen gut überlegen, wie wir vorgehen wollen. Wir sind hier Ausländer. Fremde. Und, wenn ich es offen sagen darf, wir sehen beide nicht mehr aus wie feine Damen.«
Betty riss sich von Sikki los. »Das ist mir egal. Der Tee gehört mir!« Damit bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, die sich auch tatsächlich teilte. Einige der Männer sahen sie verwundert an, andere lachten. Der Verkäufer, ein jüngerer Mann mit glatt rasiertem Schädel und Zopf in der Mitte, blickte ihr feindselig entgegen.
»Was wollen Sie?«, herrschte der Verkäufer sie auf Englisch an. »Frauen dürfen keinen Tee kaufen. Bitten Sie Ihren Mann,
Ihnen welchen zu kaufen. Dieser hier ist allerdings sehr teuer. 200 englische Pfund kostet das ganze Paket!« Er musterte sie abfällig. »Sieht nicht so aus, als könnten Sie das aufbringen.«
»Ich will ihn gar nicht kaufen!« Bettys Augen blitzten. »Er gehört mir schon. Sehen Sie nur hier: Tee aus dem Garten der schlafenden Prinzessin. Das bin ich. Vielleicht können Sie die Schrift nicht lesen, aber das macht die Sache nicht weniger wahr. Und darum werde ich jetzt mein Eigentum mitnehmen!« Sie schlang die Arme um das Paket und hob es mit ganzer Kraft etwas an. Es war so schwer, dass sie glaubte, in den Boden einsinken zu müssen. »Hilf mir, Sikki!«
Sikki war wirklich viel kräftiger als sie. Sie packte das Paket
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