Die Teeprinzessin
allem, was ich über die Weißen Tiger gehört habe, benötige ich dazu seine Hilfe. Würden Sie ihm das bitte sagen?«
»Mit Mister Bajung wollen Sie sprechen? Das geht nicht. Niemand kann das.« Ihre Augen verrieten nichts von ihren Gefühlen. Draußen dämmerte es bereits. Betty fragte sich, warum ihr kein Platz angeboten worden war, kannte die Antwort aber im gleichen Augenblick selbst. Es gab hier keine Sitzgelegenheit.
»Es ist aber wichtig für mich. Lebenswichtig.«
Die Dame Sahing lächelte fein. »Wie kann man wissen, ob etwas lebenswichtig ist, wenn man das Leben noch gar nicht kennt? Wie alt sind Sie?«
»Ich bin im vergangenen Winter sechzehn Jahre alt geworden. Und im Übrigen denke ich nicht, dass Erfahrung etwas mit dem Alter zu tun hat.« Sie versuchte, ihre Gedanken wieder zu sammeln. »Ist er Ihr Ehemann? Wären Sie dann so freundlich, Ihrem Gatten auszurichten, dass ich mit jemandem sprechen muss, der sich mit Tee auskennt? Es ist besonderer Tee, ein wertvoller Tee, und ich habe bislang erst eine einzige
Kiste davon auf einem Markt in Kanton gefunden. Ich bin mir sicher, dass Mister Bajung mich verstehen wird, wenn er meine Geschichte gehört hat!«
Die Dame Sahing neigte leicht den Kopf. »Ihre Einschätzung in allen Ehren. Ich muss Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie hier vielleicht bislang behandelt wurden wie ein Gast, dass Sie aber nicht etwa unser Gast sind . Geben Sie sich keiner Täuschung hin. Sie befinden sich im Stand einer Gefangenen, und als solche tun Sie gut daran, meine Fragen zu beantworten!«
Im Gegenlicht der untergehenden Sonne konnte man nun kaum noch die Konturen der Dame Sahing sehen. »Haben Sie hier keine Stühle oder Sessel?« Betty fühlte schon jetzt, dass ihr die Beine schwer wurden.
»Nein, die haben wir nicht. Für ein Gespräch wie das unsere bedarf es keiner Sitzgelegenheit. Ich möchte etwas von Ihnen erfahren, nicht aber mit Ihnen plaudern. Es liegt an Ihnen, wie lange unsere Unterhaltung dauert.«
Der Boden, auf dem sie stand, waren vom Alter dunkel gewordene Dielen. Sie waren glatt poliert, und sie dufteten nach dem Wachs, mit dem man sie behandelt hatte. Betty wusste nicht, warum plötzlich ein Abschnitt dieses Bodens ihren Blick auf sich zog. Lag dort etwas? Ein kleines dunkles Stück Wolle? Hatte es sich bewegt? Betty spürte, wie sich ihr die kleinsten Härchen im Nacken und an den Armen aufstellten, als der schwarze Skorpion sich plötzlich rührte und unter dem Schreibtisch verschwand.
Die Dame Sahing lächelte fein. »Solange Sie hier stehen, haben Sie nichts zu befürchten, obwohl unsere Skorpione angriffslustig sind und schnell.« Sie schien sich zu amüsieren. »Vergaß ich zu erwähnen, dass ihr Gift tödlich ist? Sie hassen den Geruch von Menschen. Buttersäure. Kaum ein Mensch
kann sie wahrnehmen. Ein jeder von uns duftet danach, auch wenn es uns nicht bewusst ist. Aber das muss Sie nicht kümmern. Ihre Füße sind so rein wie die eines Babys und wir haben sie mit feinstem, völlig geruchlosem Wasserrosenöl eingerieben, wie es am Hofe des Kaisers zur Pflege einer Dame verwendet wird. Ihre Füße wird kein Skorpion erklimmen. Solange Sie hier stehen und nicht etwa vor Erschöpfung auf den Boden sinken, kann Ihnen nichts passieren!«
Betty heftete ihren Blick immer noch auf den Boden. »Dass es Buttersäure ist, wonach die Menschen riechen, wusste ich nicht. Obwohl ich es durchaus wahrnehmen kann. Ich hab einen feinen Geruchssinn. Ich kann Ihr Parfüm riechen, das aus Teerosen gewonnen wurde, und Ihre bevorzugte Seife, die mit den Blütensäften der Orchideen aromatisiert wird.« Sie hob ihren Blick, und obwohl sie das Gesicht der Dame Sahing nicht mehr sehen konnte, blickte sie doch in ihre Richtung. Sie nahm an, dass umgekehrt die Dame Sahing sie sehr wohl noch erkennen konnte. Immerhin war es draußen immer noch ein bisschen hell. »Ihre Fußböden«, fuhr Betty fort, »werden mit billigem Bienenwachs behandelt. Schade eigentlich, in so einem gepflegten Haus. Und auch, dass Ihre Diener sich mit einfach gesiedeter Walseife reinigen müssen, ist bedauerlich. Vielleicht sollten Sie das einmal mit Ihrem Gatten besprechen. Er scheint ja Wert auf gepflegte Düfte zu legen. Zumindest benutzt er feinstes englisches Eau de Toilette.« Sie zögerte. »Es ist von Hitchinlavendel gemacht. Viele elegante Herren duften so. Früher, als mein Vater, der ein Silberschmied war, noch viel feine Kundschaft aus England hatte, hing dieser besondere
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