Die Teeprinzessin
Duft gelegentlich tagelang in unserer Silberschmiede. Betty, sag mir, ob es hier wieder nach Geld riecht?, fragte mein Vater dann, und oft konnte ich den Duft noch tagelang wahrnehmen.«
Wie lange war es her, dass sie nicht mehr an ihre Kindheit
in der fernen kleinen Stadt gedacht hatte? Ob es die Nähe des Todes war, die ihre Gedanken mit einem Male zurücklenkten? Da die Dame Sahing ausdauernd schwieg, fuhr Betty fort. »Der geheimnisvolle Mister Bajung ist also ein Engländer. Ich glaube jedenfalls kaum, dass sich ein chinesischer Herr solch ein Toilettenwasser herschicken lässt, wo man hier doch noch viel schönere Düfte herstellen kann. Das würde vermutlich nicht einmal der Boss einer so mächtigen Organisation tun.« Ohne dass sie es beabsichtigt hatte, kam ihr plötzlich Francis wieder in den Sinn. Fast konnte sie seine Körperwärme spüren und den Duft seines gestärkten weißen Hemdes. Einen stärkeren Schmerz als den der Gewissheit, ihn niemals mehr wiederzusehen, konnte niemand ihr zufügen.
»Ganz erstaunlich«, ließ die Dame Sahing nun vernehmen. »Auch wenn Ihre Schlüsse nicht ganz richtig sind, aber doch ganz hervorragend. Bajung ist nicht aus England und parfümiert sich gewiss nicht mit Lavendel.« Die Abscheu in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Nun ein letztes Mal zu meiner Frage. Woher kommt der Tee, um den es bei dem Diebstahl ging?«
»Aus dem Garten der schlafenden Prinzessin.«
Ihre Missbilligung war wie ein blitzendes Messer. »Das dürfte keine offizielle Ortsbezeichnung sein.«
Betty atmete tief ein und wieder aus. Ein schmaler Streifen Mondlichtes fiel jetzt auf den Boden und beleuchtete den Weg zweier umherwandernder Skorpione. Es machte keinen Unterschied, was sie erzählte und was sie für sich behielt. Sie war am Ende eines Weges angelangt, den sie niemals hatte gehen wollen.
»Der Mann, den ich liebe, hat den Tee angebaut und mir verehrt. Es waren 24 Kisten, aber eine musste ich einem Agenten in Kalkutta geben. Ich muss den Tee nach Hamburg bringen, zu den Händlern, die ihn eigentlich bezahlt haben. Es ist
ein guter, fermentierter Tee. Wir haben noch einige Blüten der jungen Teepflanzen hinzugegeben. Es gibt nicht viele Menschen, die diesen Duft überhaupt wahrnehmen können. Aber ich kann es und er kann es auch.«
»In der Tat«, antwortete Dame Sahing und fuhr mit einigen Sätzen in ihrer eigenen Sprache fort. Dann wechselte sie wieder ins Englische. »Sie sagen, es ist ein Mann, den Sie lieben. Ich nehme an, dass er Sie ebenfalls liebt. Haben Sie von ihm die Haarspange, die wir in Ihrem Gepäck gefunden haben?«
Betty nickte unglücklich. »Ich habe eine große Dummheit begangen, indem ich einfach abgereist bin. Ich dachte, dass es noch eine andere Frau gibt in seinem Leben. Später hat sich dann herausgestellt, dass es seine Schwester ist, um die er sich kümmern muss.« Sie schluckte ihre Tränen hinunter. »Ava, so heißt sie, und die beiden haben keine Mutter und keinen Vater mehr.«
Die Dame Sahing schwieg. »Es sind vielleicht nicht die schlechtesten Männer, die sich um andere Menschen kümmern«, bemerkte sie dann. »Auch wenn das auf den ersten Blick nicht immer ersichtlich ist.«
»Sprechen Sie von Ihrem Ehemann? Ist er doch Bajung?« Betty starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit, die die Dame Sahing nun völlig eingehüllt hatte.
»Ich habe keinen Ehemann und ich kenne auch keinen Mann namens Bajung. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie mit diesem Thema aufhören würden.« Sie zögerte. Drau ßen vor dem Fenster waren nun nur noch die Konturen der Zedern zu erkennen.
»Ich habe niemals heiraten können«, fuhr die Dame Sahing fort. »Meine Bestimmung war es für viele Jahre, als Hofdame der Kaiserkonkubine Cixi zu dienen, des Kaisers späterer zweiter
Gattin. Sie ist die Mutter des einzigen Stammhalters des Kaisers und eine der wichtigsten Personen im Staate, denn der Kaiser ist schwach. Er ist seit Langem krank. Wenn er stirbt, wird sie als Kaiserinwitwe über mehr Macht als die erste Kaiseringattin verfügen und allein die höchste Macht im Reich haben. Sie wird es auch mit den Taiping aufnehmen, sie ist unerschrocken und lieblich zugleich. Es war meine Aufgabe, Cixi zu dienen, so war es mir bestimmt.«
»Sie sprechen in der Vergangenheitsform!«
Die Dame Sahing ließ ein perlendes Lachen hören. »Sie sind sehr aufmerksam. Dabei wäre das gar nicht nötig. Durch Ihre Aufmerksamkeit verschwenden Sie nur Ihre
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