Die Teeprinzessin
Kraft. Ich werde Ihnen auch so gern erzählen, wie es in der Verbotenen Stadt zugeht, immerhin ist das kein Geheimnis. Wir Hofdamen tun bis zu dem Tage Dienst, an dem wir das dreiundvierzigste Lebensjahr vollendet haben. Die Vierundvierzig ist bei uns keine Zahl, die man als Glück bringend erachtet, zumal nicht in der Verbotenen Stadt. Ich wusste es vorher, dass ich meine große Liebe diesem Leben opfern würde. Aber ich habe es nie bereut. Cixi ist eine wunderbare Frau. Ungeachtet all dessen, was man über sie sagt, ist sie so harmlos wie ein Schluck Quellwasser und auf Hilfe angewiesen. Sie kann sich nicht alleine ernähren oder sich ankleiden, sie kann kaum ihrem kleinen Sohn über die Wange streichen. Ihre Fingernägel sind lackiert und mehr als zehn Zentimeter lang, ihre Füße sind nicht größer als zwei kleine reife Pfirsiche, und genauso weich und samtig, so wie es unserem Schönheitsideal entspricht. Vielleicht ist das für eine Europäerin wie Sie schwer zu verstehen, aber ich habe mein Leben dieser Frau mit großer Leidenschaft und Pflichterfüllung gewidmet. Ich habe dafür gesorgt, dass das Fleisch ihrer Füße von weißen Seidenmaden zerfressen wurde, als sie sieben Jahre alt war und die Schmerzen der engen Bandagen
nicht mehr ertrug. Später habe ich sie in der Kunst des Daoismus unterwiesen, damit sie es lernt, die Temperamente des Kaisers im entscheidenden Augenblick zu zügeln und keinen weiteren Sohn zu empfangen, dessen Geburt sie das Leben gekostet hätte. Ich habe sie hungern lassen, damit ihre Taille schmal war wie die einer Lilie, und ich habe sie geschlagen, wenn sie zu müde war, um ihre Tanzübungen zu machen. Sie ist eine perfekte Konkubine gewesen und nun ist sie eine perfekte zweite Kaisergattin. Nach dem Tode des Kaisers wird sie das Reich auf eine perfekte Weise regieren. Vermutlich wird sie ihren Sohn als kindlichen Kaiser auf den Thron heben, so jedenfalls haben wir es besprochen. Sie musste mich vergessen, aber sie ist mein Geschöpf. Im Chinesischen gibt es das Wort Teng . Es bedeutet Mutterliebe und Fürsorge, aber es bedeutet auch Leid und Schmerz. Ich hätte meine Aufgabe im Palast um nichts in der Welt missen mögen.«
Betty hatte der Erzählung der Dame Sahing mit wachsen der Ungeduld zugehört. »Verzeihen Sie mir bitte, ich dachte, dass Sie etwas mit dieser Teemafia zu tun hätten. Ist das denn nicht so?«
»Sie sollten nicht alles glauben, was die Leute sagen.« Sie lachte wieder ihr perlendes Lachen.
Betty konnte sich gut vorstellen, dass dieses Lachen auch der Kaiserkonkubine und späteren Gattin gefallen hatte.
»Und wer weiß, ob ich nicht dennoch etwas von der Liebe im europäischen Sinne verstehe? Ich will Ihnen etwas sagen. Auch ich habe einmal einen Mann geliebt und mich zunächst gegen ihn entschieden, denn wenn unsere Affäre ans Licht gekommen wäre, hätte ich den Palast verlassen müssen. Die Kaiserkonkubine Cixi, die damals selbst fast noch ein Kind war, hat mir sehr geholfen, dass nicht offenbar wurde, dass ich zwei Kinder von meinem Geliebten bekam, zunächst eines und dann
viele Jahre später ein weiteres. Cixi ist die Erfinderin der Diskretion und der falschen Fährten. Sie hat es mir ermöglicht, beide Leben zu leben, zumindest zeitweise. Doch meine Liebe zu diesem Mann hat es letztlich nicht beeinflusst, dass wir uns niemals zusammen zeigen durften. Sie haben übrigens recht mit ihrer feinen Nase. Er benutzt ein bestimmtes Eau de Toilette. Er ist Engländer. Er weilt zurzeit hier bei mir, bevor er sich wieder nach London einschifft. Seiner Liebe war ich immer vollkommen gewiss. Meine Kinder jedoch habe ich verloren.« Ihre Stimme war gleichbleibend hell und klar geblieben, jetzt aber spürte Betty, dass eine große Traurigkeit darin mitschwang. »Ich habe nur noch ihn.«
»Dann ist er nicht Bajung?«
Sie seufzte. »Nein, er ist es gewiss nicht. Er ist ein Edelmann.«
»Aber es gibt diese Teemafia?«
Sie lachte. »Ach, Kind! Wir Chinesen werden von euch Europäern immer mystifiziert. Ich selbst treibe gelegentlich ein wenig unbedeutenden Handel mit Tee oder mit Seide zu meinem Amüsement, und da ich eine Frau bin, komme ich nicht ohne die Hilfe einiger starker Diener aus. Ich führe das ruhige Leben einer alten unverheirateten Frau, die alle fünf oder zehn Jahre einmal Besuch von ihrem Liebhaber bekommt. Dieses Landhaus und die Bediensteten waren ein großzügiges Geschenk von Cixi und von ihr erhalte ich auch eine kleine Apanage. Es tut mir
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