Die Teeprinzessin
leid, aber mehr Geheimnisse gibt es hier nicht zu entdecken.«
Ein Diener kam herein und brachte eine Öllampe, die er auf den Tisch stellte, was eine kleine Gruppe von Skorpionen auf dem Boden in Bewegung brachte und sie unter einen Spalt in der Wand huschen ließ.
»Was ist aus Ihren Kindern geworden?«
»Oh, die sind mittlerweile erwachsen. Ich habe dafür gesorgt, dass sie eine gute Erziehung erhielten und dass ihnen kein Mangel entstanden ist. Sie sind in Peking bei einer entfernten Cousine aufgewachsen, außerhalb der Verbotenen Stadt, aber ich konnte sie einmal im Monat sehen. Ihr Vater hat sich ebenfalls gelegentlich um sie gekümmert, wenngleich das nicht offen geschehen konnte und sich seine Anteilnahme an ihrer Entwicklung hauptsächlich auf das Finanzielle bezog, denn er ist in England ein berühmter Mann, Mitglied des Oberhauses, und nach den dortigen Sitten zudem unauflösbar verheiratet. Lady Patricia hat ihren Mann sogar einmal eigens bis nach Kanton begleitet, um mich dort zu treffen. Sie ist eine sehr kultivierte Dame, für eine Engländerin. Sie hatte nichts gegen die Verbindung ihres Mannes einzuwenden, zumindest hat sie es sich nicht anmerken lassen. Ihr war nur am Fortbestand ihrer Ehe gelegen. Obgleich seine Ehe nicht mit Nachkommen gesegnet war, konnte er sie daher niemals auflösen.« Sie lachte, als ob sie etwas Heiteres erzählte. »Wir sollten uns nicht über diese Dinge unterhalten. Sagen Sie mir lieber, was Sie mit dem Tee vorgehabt hätten. Ich finde Ihre Naivität, offen gestanden, ausgesprochen amüsant!«
Betty schwieg eine Weile. »Ich wollte mich mit dem Tee nach San Francisco einschiffen. Oder nach Los Angeles.«
»Los Angeles ist ein unkultiviertes kleines Dorf voller Mexikaner. Es gehört auch erst seit Kurzem zu Amerika.«
Betty versuchte, den Zwischenruf zu überhören. »Und dann wollte ich auf dem Landweg nach New York fahren. Von dort aus hätte ich eine Passage nach Hamburg genommen, das ist der Ort, wo ich den Tee hätte abliefern müssen.«
Die Dame Sahing nickte. »Was hat Ihnen Ihr Auftraggeber dafür gegeben?«
»Zwei Kisten Silber, insgesamt dürfte das mehr als tausend
englischen Pfund entsprechen. Ich habe das Silber bei Francis, ich meine, bei Mister Jocelyn gelassen. So hieß der Mann, über den ich sprach.« Sie musste schlucken, um nicht allein bei der Erwähnung seines Namens in Tränen auszubrechen. »Das Silber steht ihm zu, denn der Tee ist in seinem Teegarten gewachsen und in seiner Faktorei verarbeitet worden. Dafür wollte ich dem Auftraggeber die 23 Kisten zu 60 Pfund bringen.«
Die Dame Sahing schien dies zu schockieren. Ihr hell geschminktes Gesicht wurde noch weißer. »Oh ja, die Teehändler aus der Alten Welt sind gierig!«, stellte sie schließlich fest. »Sie werden ja selbst wissen, dass dieser Tee viel mehr wert ist als zwei Kistchen Silber. Wenn Ihr Auftraggeber die Lieferung bekommen hätte, wäre dieses für ihn ein schöner Grund gewe sen, seinem Schöpfer zu danken. So sind sie doch, die Europäer, nicht wahr? Sie danken immerzu ihrem Schöpfer.«
»Heißt das, dass Sie den Tee kennen?«
Das Licht der Öllampe flackerte. »Aber selbstverständlich kenne ich ihn. Meine Leute haben ihn in halb China zusammengesammelt. Die erste Kiste haben ein paar Bösewichte einem alten Freund von mir in Malakka angeboten. Der Tee ist von sehr ungewöhnlicher Qualität, er war nicht leicht zu verkaufen, die Leute wussten nicht genau, wie sie ihn einschätzen sollten. Dinge, die zu gut sind, haben es niemals leicht. Doch das war in diesem Fall ein Glück, nur deshalb existierte der Tee überhaupt noch in Paketform und nicht schon als Saft des Lebens auf dem Felde. Nur das eine Paket, das Sie selbst in Kanton aufgetan haben, fehlte uns noch. Allerdings waren ihm meine Leute bereits auf der Spur. Sie können es wegen der Dunkelheit jetzt nicht sehen, aber die Ware steht komplett unten im Hof, bereit, innerhalb der nächsten Minuten auf den Ochsenkarren verladen zu werden. Es sind 23 Kisten, die wir gefunden haben. Eine wahrhaft ausgezeichnete Qualität. Ich
habe bereits einen Abnehmer dafür gefunden, der vermutlich ebenfalls seinem Schöpfer danken wird. Es ist selbstverständlich ebenfalls ein Europäer.«
Betty spürte, wie ihr Gesicht rot wurde. »Aber das dürfen Sie nicht tun! Der Tee gehört mir. Es wäre Diebstahl!«
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gehört der Tee von Rechts wegen diesem Händler in Hamburg, der ihn bezahlt
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