Die Teeprinzessin
Holz al ter Fässer und den Gammel von verfaulten Fischresten. Es gab keinen Zweifel. Sie hatten den Hafen von Schanghai erreicht.
6
Obwohl niemand von ihrer Ware und von dem festgefahrenen Ochsenkarren Notiz zu nehmen schien, hatte Betty beschlossen, dass es besser wäre, wenn Sikki den Wagen bewachte, während sie im Hafen nach einem Agenten suchte, der ihnen eine Überfahrt nach San Francisco vermitteln konnte.
Trotz der Dunkelheit schimmerte das schwarze Wasser am Hafen in einem feinen Goldton. Das mochte an den vielen hell erleuchteten Kaschemmen liegen, die das Ufer säumten und deren Lichtschein sich im Wasser spiegelte. Draußen auf Reede lagen offenbar zwei größere Schoner, ein Klipper, vier große Kriegsschiffe und zwei Dschunken, deren Umrisse sich gegen den blauschwarzen Himmel abhoben. Direkt am Kai hatte nur ein einziges Fischerboot festgemacht. Aus vielen Häusern erklang Gelächter und Geschrei, jemand spielte auf einer Fidel.
Andere Etablissements hingegen umgab eine Aura von unheimlicher Ruhe. So menschenleer die Seitenstraßen gewesen waren, hier gab es mehrere Hundert Passanten, die jedoch alle nicht herumflanierten, sondern offenbar bestimmte Ziele vor Augen hatten. Dabei waren nicht nur Einheimische und europäisch gekleidete Zivilisten auf den Kais unterwegs. Betty entdeckte auch eine Gruppe britischer Soldaten. Und war das nicht sogar eine Frau, die sich jetzt in eine der mit Laternen beleuchteten stilleren Häuser schlich?
Einer der Briten war jetzt stehen geblieben und musterte Betty. Sein Atem roch nach säuerlichem Palmwein. Bevor er etwas sagen konnte, ergriff Betty das Wort.
»Entschuldigen Sie, Sir. Gibt es hier irgendwo einen Schiffsagenten, der eine Ladung Waren für mich nach San Francisco einschiffen kann?«
Der Mann blieb abrupt stehen, hielt taumelnd einen seiner beiden Freunde am Ärmel und wechselte einen Blick mit seinen Kumpanen. »Waren nach San Francisco einschiffen…?«, wiederholte er. »Jetzt?« Seine Kumpane lachten.
»Es ist dringend.« Betty trat einen Schritt zurück und wäre fast über ein Fass gefallen. Sie konnte sich gerade noch wieder fangen. Sie spürte, dass ihr Herz schneller schlug. Wie lange würde es dauern, bis die Häscher der Dame Sahing sie hier aufgespürt hatten, so auffällig wie sie war? Die drei Männer glotzten sie immer noch an wie eine Erscheinung.
»Es ist dringend?«, wiederholte der Mann und zog sinnierend an seinem Schnauzbart. Dann straffte er sich, wohl, um zu zeigen, dass er keineswegs so betrunken war wie seine beiden Freunde. »Hören Sie, Lady, der Opiumkrieg ist nur auf dem Papier zu Ende. Es hat Ausschreitungen gegeben. Die Chinesen haben sich alle in ihren Häusern verbarrikadiert. Es ist nicht gut für Sie, hier mitten in der Nacht alleine herumzustolpern.«
Jetzt stieß einer der beiden anderen Männer seinen Begleiter mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Was will sie in San Francisco? Sie kann ja noch nicht einmal richtig Englisch.«
Betty spürte, wie eine Welle von Wut sie ergriff. »Ich habe Ihnen lediglich eine Frage gestellt, meine Herren. Wenn ich darüber hinaus noch Ihren Rat haben möchte, lasse ich es Sie wissen.«
»Oh, sorry, meine Dame.« Der schnauzbärtige Mann deutete eine Verbeugung an, die ihn fast zu Fall brachte. »Also, Ladung nach San Francisco. Einen Schiffsagenten kennen wir nicht, wir sind Soldaten, müssen Sie wissen. Aber wir haben vorhin ein wenig mit Doppel-Ross gefeiert.« Er lachte. »Der heißt mit Vornamen und mit Nachnamen Ross, Ross R. Ross, so lautet sein voller Name, und nun raten Sie nur, wie sein Schiff heißt?«
Betty zuckte die Schultern. Es war wohl besser, wenn sie auf die Männer einging, sonst würde sie niemals eine Antwort erhalten. Oder hätte sie doch besser einen der zielgerichtet einherschreitenden Männer in ihren hellen Tropenanzügen gefragt, die nach und nach in den Häusern an der anderen Seite der Kais verschwanden? Keiner von ihnen sah so aus, als könne man ihm eine Antwort entlocken. »Heißt das Schiff etwa auch Ross?«
Die drei Männer begannen zu grölen. »Nein, das Schiff heißt Walross. Ganz Ostasien lacht über ihn!«
»Ich suche nach jemandem, der nach San Francisco segelt!« Betty wollte sich schon abwenden.
»Aber genau das tut er«, antwortete der Schnauzbärtige und hielt sich weiter den Bauch vor Lachen. »Er bringt morgen eine Ladung Chinesen nach Kalifornien. Viele von denen haben die angeblich ›schanghait‹. Das ist hier so eine
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