Die Teeprinzessin
rollte mit
den Augen, als Betty heißes Wasser von ihm forderte. Sie sei hier schließlich nicht in einem Grandhotel. Die Walross sei ein Handelsschiff. Und Betty solle es ja nicht wagen, ihn um Tee anzubetteln und dabei in Tränen auszubrechen und ein Baby auf dem Arm zu wiegen, so wie eine chinesische Frau das erst heute früh getan hätte. Und das sei noch längst nicht alles. Einige der Seeleute gingen ihm seit der Abfahrt in Schanghai damit auf die Nerven, dass sie Tee brauchten, um die Nachwirkungen ihres Opiumrausches zu vergessen. Schlimm sei das alles. Der Koch hörte gar nicht mehr auf zu schimpfen. Aber dann füllte er doch einen Krug mit Wasser und gab ihn ihr kopfschüttelnd mit. Betty beeilte sich, in ihren Verschlag zu kommen. Sie würde eine große Kanne Tee für Lisi machen und ihr ein paar Pfund des Tees schenken. Für einen winzigen Augenblick dachte sie nicht an Francis und an ihren Kummer. Und als der Augenblick vorbei war, fühlte sie sich besser. Sie, Betty Henningson, fast siebzehnjährige Tochter eines Silberschmiedes aus Emden, würde vergessen müssen, was hinter ihr lag. Sie würde neu anfangen und Francis so gut es ging aus ihren Gedanken vertreiben.
Aus dem Mastkorb rief der Ausguck, dass er Möwen gesichtet habe. Sie würden bald in San Francisco ankommen.
SIEBENTES BUCH
Die Zeit der Sonne
Der Verfolger
Hafen von San Francisco, Dienstag, den 24. Dezember 1860,
früher Morgen, bis Hotel Pacific von Hamburg,
Sonnabend, den 21. Mai 1861, die Stunde nach Dämmerung.
1
San Francisco lag im kühlen Sonnenschein, als sie am frühen Morgen des 24. Dezembers 1860 den Hafen erreichten. Sie hatten einige unbewohnte Inseln in einer großen Bucht passiert. Zwei riesige lagen an den Kais wie arrogante große Fabelwesen. Direkt daneben hatten mehrere der plumpen neuen Dampfschiffe festgemacht. Kapitän Ross ließ einen Liegeplatz im südlichen Teil des Hafens ansteuern. Dort lag auch »Der Schuppen«, wie er den Passagieren in einer kurzen, laut dahingebrüllten Ansprache erklärte. Reisende aus China hätten die Verpflichtung, um Einreise zu ersuchen. Mitgeführte Waren, Schmuck und Silber unterlägen einer Einfuhrsteuer, wenn sie eine bestimmte Menge überstiegen, zudem würde jeder Einreisewillige auf seinen Gesundheitszustand hin überprüft. Ein chinesischer Dolmetscher stünde im Schuppen bereit, um gegen eine kleine Gebühr die Einreisebestimmungen ins Kantonesische zu übertragen.
Betty und Sikki standen mit ihrem persönlichen Hab und Gut dicht gedrängt zwischen den anderen Reisenden an Deck
der Walross. Lisi und ihr Baby hatten sie seit zwei Tagen nicht gesehen. Vielleicht standen sie weiter vorn. Es war ein klarer, frischer Tag. Betty spürte einen leichten Wind in ihrem Gesicht und beobachtete, wie einheimische Stauer an Bord gelaufen kamen, um die Walross zu entladen. Schon hatten sie begonnen, ihre Teepakete aus dem Schiffsbauch zu holen und auf dem Kai zu stapeln. »Bis auf den letzten Brocken muss hier alles raus!«, rief Ross. »Nicht nur die großen Sachen, sondern auch die kleinsten Dinge. Es hat keinen Sinn, etwas zu verstecken. Die finden alles. Wer von den Behörden beim Schmuggeln erwischt wird, kann morgen Abend mit mir zurück nach Schanghai segeln. Vorausgesetzt, er hat noch Geld für die Passage!« Ross lächelte mitleidig. »Also bitte, meine Herren, meine Damen. Lassen Sie eventuell einzuführende Waren von den Stauern an Land bringen. Nachdem Sie taxiert worden sind, erhalten Sie alles zurück.« Dann wandte er sich ab und rief seinem Steuermann laut hinterher, der sich eben klammheimlich von Bord machen wollte.
»Meinen Sie, dass wir den Tee auch verzollen müssen?« Sikki machte ein besorgtes Gesicht. »Ich kann Kapitän Ross nicht gut verstehen. Er brüllt sein Englisch eher, als dass er es spricht.«
Etlichen Reisenden ging es offenbar ähnlich wie Sikki. Sie hatten die Ansprache des Kapitäns ohne sichtbare Zeichen von Verständnis verfolgt und schleppten nun ungerührt Säcke mit Waren auf den Schultern.
Betty schüttelte den Kopf. »Das betrifft nur Waren aus China. Der Tee ist aus Indien. Außerdem sind wir keine Einwanderer, wir wollen ja nur das Land durchqueren und es dann wieder verlassen.« Sie zögerte. »Ich könnte mir vorstellen, dass eine Zollmarke auf die Pakete kommt.«
In Gruppen von fünf oder sechs Reisenden sollten sie die schwankende Gangway hinuntergehen und sich dann in der
langen Schlage anstellen, die vor der Tür des Schuppens
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