Die Teeprinzessin
Körper abgewaschen.
»Sie können diesen Raum jetzt bitte auf der anderen Seite verlassen«, drängte der Mann. »Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt in unserem Land!«
»Aber ich will zu meinem Tee!« Betty schnellte herum und wollte zur hinteren Schuppentür entwischen, der Offizier jedoch war schneller. Er packte ihren Arm. Sein Lächeln war anzüglich. »Wenn Sie heute Abend noch nichts vorhaben, junge Lady …«
Sie versuchte, sich loszureißen, aber der Griff des Man nes war stärker. Durch die geöffnete Tür konnte sie auf den Kai sehen. Der Stapel mit ihren Teepaketen war fast völlig zusammengesunken, es lagen nur noch zwei Pakete dort. Eines davon wurde gerade von einem jungen Chinesen mit einem Messer aufgeschlitzt.
»Ja, ja, da sind schon die Plünderer«, sinnierte der Offizier. »Von denen holt sich eben jeder, was er bekommen kann. Es kann Ihnen egal sein, junge Lady, denn Sie dürfen den Tee ja ohnehin nicht in dieser Menge einführen. Warum dann also nicht jemandem, dem es schlechter geht als Ihnen, damit eine kleine Freude bereiten!«
Sikki hinter ihr stieß einen kleinen Schnaufer aus, wie ein wütender Drache.
»Aber mir stehen sieben Pfund Tee zu!«, beharrte Betty, »das haben Sie doch selbst gesagt!«
Der Mann nickte geduldig. »Ja, aber die Ware hätten Sie direkt mit sich führen und sofort deklarieren müssen. Jetzt ist es zu spät. Sie können nicht wieder umkehren. Wir haben unsere Vorschriften.«
»Das wurde uns aber vor der Einreise ganz anders erklärt!«, mischte sich nun sogar Sikki ein.
Der Mann zuckte nur die Schultern. »Wir sind ein junges Land. Gesetze werden geändert, um dem Volk besser dienen zu können, so ist es nun mal.«
2
Vom Hafen aus ging es steil die Hügel hinauf, an denen die Häuser klebten wie Bienenwaben an einem Baum. Manchmal blieb Betty stehen und schaute sich um. Eine große Bucht lag wie ein großer schimmernder Stein unter ihr. Betty wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Sie hatte kein Geld mehr, und sie hatte ihren Tee verloren, der offenbar bis auf den letzten winzigen Krümel den chinesischen Plünderern zum Opfer gefallen war. Und das war nicht einmal das Schlimmste. Sie beschloss, den Hügel hinaufzulaufen. Die körperliche Anstrengung würde ihr guttun und ihre schwarzen Gedanken betäuben.
»Hallo, Miss Betty!« Sie brauchte sich nicht erst umzuschauen, um die hohe feine Stimme von Lisi zu erkennen. Das Kind auf ihrem Arm zappelte und quietschte fröhlich, als sie eine Hand losließ, um mit der anderen Betty und Sikki zuzuwinken. Offenbar war dem Baby der Tee aus Darjeeling ganz ausgezeichnet bekommen. Und seiner Mutter auch. Lisi kam den Hügel heraufgerannt, ihre dunklen Augen sprühten nur so vor Unternehmungslust. »Es war so schwer, in das Land zu kommen«, stellte Lisi fest. »Wir waren nackt wie am Tag unserer Geburt und genauso von Gefahr bedroht. Aber nun wollen wir alles vergessen, was hinter uns liegt, nun wird alles gut! Es gibt kein Zurück!«
»Kein Zurück«, wiederholte Betty matt. Dann rieb sie sich
mit der Hand über die Augen. Vielleicht war ein Staubkorn hineingeflogen.
»Sie haben keinen Ort, wo Sie hingehen können?«, wollte Lisi wissen. »Nun haben Sie einen.« Sie lachte. »Kommen Sie mit zu Tante Wang. Sie ist manchmal etwas charmant, aber sie wird uns alle aufnehmen! Kommen Sie bitte mit uns, Sie sind unsere Gäste, solange Sie wollen!«
»Danke, das ist nett, aber mein Bedarf an charmanten Menschen ist erst einmal gedeckt. Ich werde versuchen, hier eine Arbeit mit Kost und Logis zu finden.« Betty musste an die Chinesen denken, die ihren Tee geplündert hatten. Und hatte sie nicht auch Lisis Mann mit einem verdächtig dicken Stoffbündel unter dem Arm gesehen? Hatte er nicht auch zu denen gehört, die die großen Teepakete mit Messern aufgeschlitzt hatten, um sich daran gütlich zu tun? Bestimmt gab es niemanden unter den Passagieren, der nicht von seinem Recht Gebrauch gemacht hatte, sieben Pfund Tee einführen zu dürfen. Oder war die Ware hier tatsächlich wertlos? Sie würde wieder ganz von vorn anfangen müssen. Vielleicht konnte sie zusammen mit Sikki eine Arbeit als Hausmädchen finden.
Sie musste wohl, ohne es zu merken, vor sich hin gemur melt haben, denn Sikki blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. »Ich möchte aber nicht als Hausmädchen arbeiten«, rief sie. »Ich bin für das Baden der Dame und für angenehme Gespräche zuständig, aber nur für Gespräche mit Ihnen, Miss, nicht
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