Die Teeprinzessin
bereits wieder zurück.
Betty setzte sich so ruckartig im Bett auf, dass fast das fein bestickte Batistnachthemdchen gerissen wäre, das sie nun trug. Ihre langen Haare fielen ihr wie Seide über die Schultern, aber sie schlug sie mit einer wilden Bewegung zurück. »Heißt das, dass Sie bald wieder ein Schiff nach Europa laufen haben?«
Upton lachte so sehr, dass sein Bauch wackelte. »Mit einem Schiff kann man nicht viel ausrichten. Daher habe ich vier. Brauchen Sie eines?«
»Eine Passage auf einem Schiff bräuchte ich. Und jemanden, der mit dem Zoll verhandelt und mir vielleicht die Zollgebühr auslegt, bis ich sie irgendwann einmal zurückerstatten kann...« Sie zögerte. »Das wäre meine Rettung!«
6
Kapitän Holden Junes war noch exzentrischer als die anderen Kapitäne, die Betty auf ihrer langen Reise kennengelernt hatte. Aber er war der Einzige, der bei einem Wintersturm wie diesem in die alte Welt segeln wollte. Und er befehligte das einzige der vier Schiffe aus dem uptonschen Imperium, das als einigermaßen geeignet für so ein gewagtes Unternehmen galt.
Die Schöne Maria, die wie alle Schiffe von Upton nach seiner verstorbenen Frau benannt war und die größer und neuer war als die Liebliche Maria, die Sanfte Maria und die Erste Maria, war ein riesiger Klipper, elegant, leicht und unruhig schon vom Ansehen her. Er galt als schwer zu segeln, nervös und dennoch als pfeifschnell. Er wurde von einer Mannschaft
von Männern gesegelt, die auf den ersten Blick allesamt so aussahen, als hätten die Einwanderungsoffiziere vom Battery Park allen Grund, ihnen die Einreise zu verweigern. Doch der Schein trog und dem Reeder Jack Upton und dem Kapitän Holden Junes waren der Schein der Dinge mehr als egal. Jeder der Seemänner hatte bereits die beiden großen Kaps, das Kap von Afrika und Kap Hoorn, umsegelt, und manch einer von ihnen hatte seither offenbar weder eine Haarschere noch einen Waschzuber aus nächster Nähe gesehen. Aber ein jeder hätte im Zweifelsfall auch selbst sowohl das Ruder als auch das komplette Kommando des nervösen Schiffes übernehmen können, und von Holden Junes hieß es, dass er immer noch schneller auf der obersten Rahe war als der jüngste und kräftigste aus der Mannschaft. Wenn überhaupt eine Mannschaft bei diesem Wetter über den Nordatlantik kam, dann war es diese, da war Upton sich sicher. »Ich weiß aber nicht, ob ich Sie wirklich fahren lassen sollte«, hatte er nachdenklich zu Betty gesagt. »Es ist gefährlich. Es ist kalt. Es kann sein, dass Sie niemals ankommen. Und außerdem...«, er hatte eine Pause gemacht und schien nach Worten zu suchen, »ich kenne eine Menge Leute, die schon einmal mit Junes gesegelt sind und die den Mann in den höchsten Tönen loben. Aber keiner würde jemals ein weiteres Mal zu ihm an Bord gehen.« Er lachte verlegen. »Nicht einmal dann, wenn das Schiff im Hafen liegt, glaube ich. Gegen eine Seereise mit Holden Junes soll eine Seereise mit dem Teufel eine wahre Paddeltour sein.« Upton sah aus, als wolle er Betty gleich väterlich über die Haare streichen. »Und das Kulinarische stimmt bei ihm an Bord auch nicht. Aber ich könnte Ihnen immerhin unseren Koch mitgeben.«
»Nein, das brauchen Sie nicht!« Betty hatte nur traurig den Kopf geschüttelt. »Und Sie können Sikki wirklich nicht finden?«
Upton hatte ihr schon mehrfach versichert, dass Sikki wie vom Erdboden verschwunden sei. An einem Morgen hatte er sogar alle 400 Angestellte seiner Manhattaner Bonbonkoche rei die Rasmus Road in Five Points nach ihr absuchen lassen. Aber außer ein paar vagen Gerüchten, dass sie in Begleitung eines reichen Herrn abgereist sei, war nichts dabei herausgekommen. Upton hatte nichts auf diese Gerüchte gegeben. Was die Leute über abgängiges Hauspersonal an Unsinn erzählten, habe man ja nun bereits am Beispiel von Betty erlebt und er habe seinen Arbeitern anhand dieser Geschichte verdeutlicht, dass man nichts auf das Geschwätz der Leute geben dürfe. Es müsse nur nach einem Mädchen gesucht werden, dann ginge den Leuten bereits ihre dunkelste Fantasie durch. Die Arbeiter hatten ihrem Boss natürlich versichert, dass sie selbst solche Gerüchte niemals verbreiten würden. Bestimmt gab es eine andere Erklärung, eine sittsame und zudem vernünftige. Vermutlich hatte Sikki irgendwann nicht länger auf Betty warten wollen und sich selbst aufgemacht, sie zu suchen. Wie sollten sie einander jetzt nur wiederfinden?
Letztlich war jedoch Betty
Weitere Kostenlose Bücher