Die Teeprinzessin
losgesegelt. Die Eignerkabine an Bord der »Schönen Maria« war geräumig und geschmackvoll eingerichtet, und Betty war sich sicher, dass ihr etwas Ruhe guttun würde. Jack Upton hatte die Zollgebühr für ihren Tee ausgelegt, wie er sagte, und er hatte auf unerklärliche Weise dafür gesorgt, dass die Ware nun auch ordentliche Papiere besaß. Sogar ein Ausfuhrstempel aus Schanghai hatte sich darauf befunden. Dann war der Tee im Mittelfrachtraum des Schiffes verstaut worden, dort, wo es nach nichts anderem duftete als nach Ferne.
Seltsamerweise war der Abschied von Didi und seiner Familie nicht einmal tränenreich verlaufen. Vielmehr wirkten die Uptons auf eine treuherzige Art erleichtert darüber, dass sie
Betty, wie sie sagten, etwas von ihrer Wohltat hatten zurückgeben können. Fast wartete Betty darauf, dass sie sie für die Zeit nach der Auslieferung des Tees wieder nach New York einladen würden. Aber das taten sie nicht. Sie hatten sie mit reichlich Kleidung und mit einem großen Koffer ausgestattet, ihr etwas Reisegeld gegeben und den Tee in eine weitere Schicht wachsbeschichteter Seidentücher einnähen lassen. Dazu gab es die Frachtpapiere, einen Wangenkuss von Didi und ein herzliches Winken. Dann verschwanden die Kais des Hafens von New York in der Weite der großen Bucht und waren bald nicht mehr zu sehen.
Gleich darauf nahm das Schiff gewaltig Fahrt auf. Obwohl sie starken achterlichen Südwest hatte, ließ Kapitän Junes alles an Segeln setzen, was er hatte. Das Schiff legte sich weit auf die Seite und Betty konnte sich auf dem seifigen Deck gerade noch bis zum Niedergang zu ihrer Kabine hinhangeln, sonst wäre sie mit dem ersten Brecher zu den Fischen geschwemmt worden. Das Meer brodelte weißlich wie kochendes Wasser, doch in der Luft schwirrten winzige Eiskristalle wie Rasierklingen.
Gelegentlich wurden oben an Deck Kommandos gebrüllt. Manchmal knallten dann die Segel. Gelegentlich aber schien sich das Schiff, ohne dass man es vorher hätte ahnen können, auf die andere Seite zu schmeißen, wie eine fiebrige und launische Dame in ihren Kissen. Betty hatte es aufgegeben, ihr Gepäck festhalten zu wollen, das sich schon nach wenigen Seemeilen vom Kofferbock gelöst hatte und nun in ihrer Kabine Schlittschuh fuhr. Einmal wäre sie fast von ihrem eigenen rasenden Koffer überfahren worden, als sich die »Schöne Maria« wieder einmal mit Schwung auf die Backbordseite krachen ließ und als nicht nur alle losen Gegenstände, sondern auch die wenigen mit dem Schiff verbundenen, wie der kleine Schreibtisch, auf wilde Fahrt gingen.
Die Tage vergingen unter Windgeheul und Sturmgebraus. Eine Zeit lang legte Betty noch ihren Ehrgeiz darin, die Öllampe in ihrer Kabine immer und immer wieder anzuzünden, wenn sie ausgegangen war, weil sie an ihrem Haken gar zu sehr schaukelte. Als die Glaslampe dabei aber sogar von der Decke fiel und in Tausende von Teilen zerbrach, gab Betty das Unterfangen auf und beschloss, künftig im Dunkeln sitzen zu bleiben.
Bill, der erst neunjährige Schiffsjunge, von dem die anderen Seeleute sagten, dass er es durchaus mit jedem anderen hier an Bord aufnehmen konnte, brachte ihr einige Male ein Stück von dem Kuchen, den der Schiffskoch vermutlich vor längerer Zeit gebacken hatte. Bill betonte mehrfach, dass er den Kuchen eigens für die Dame ausdauernd auf den Tellerrand geklopft habe, damit die Maden hinausfielen.
Zweimal tastete sich Betty auch in die große Messe mit dem langen Tisch vor, an dem die Mannschaft ihre Mahlzeiten einnahm. Aber diese Unternehmung bewährte sich nicht. Denn keiner von den Männern schien sich in Bettys Gegenwart unbefangen genug zu fühlen, um einfach weiterzuessen, wie er es gewohnt war. Einige der Matrosen sprangen plötzlich auf, als Betty hereinkam, und stießen sich die Köpfe an der niedrigen Holzdecke. Einer holte sich eine schiefe Gabel und ein Messer vom Smutje und begann, seine Grütze mit Tafelbesteck statt mit dem Löffel zu essen, weswegen das meiste davon auf den Boden tropfte und den halb blinden Segelmacher Danton gefährlich zum Stolpern brachte.
Aber auch Betty fand an den Mahlzeiten im Kreise der Mannschaft keinen Gefallen. Dass man sich die Brocken der gerösteten Bilgenratten aus den Zähnen zuzelte, mochte ja noch angehen. Aber als sie sah, dass es offenbar üblich war, die gebratenen Köpfe tief in eine scharfe Pfeffersoße zu tauchen und dann auszulutschen,
drehte es ihr fast den Magen um. Einzig Kapitän Junes schien
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