Die Teeprinzessin
nicht aus.
Vermutlich war es das Beste, oben nach dem Rechten zu sehen. Vielleicht würden die Männer aus der Mannschaft ihr sogar zu Hilfe eilen, wenn Tollhoff ein weiteres Mal versuchen würde, sich an ihr zu vergreifen.
Betty wartete, bis eine Welle das Schiff weit nach unten gedrückt hatte, dann stürzte sie auf die Tür zu und drückte sie mit großer Kraft nach außen. Der enge dunkle Gang vor der Kabine war leer, die Wanten knarrten, der Wind sang. Aber Stimmen hörte man nicht. Betty tastete sich zum Niedergang vor und kletterte vorsichtig die sieben schmalen Stufen hinauf. Es war schwer, die Luke gegen den Windwiderstand nach oben zu pressen. Das Schiff schlingerte auf die andere Seite und Betty musste sich mit aller Kraft festhalten. Sie stemmte den Oberkörper aus der Luke und blickte nach oben. Hinter den schwarzen dahinjagenden Wolken war ein helleres Stück Himmel zu sehen. Es war unterdessen also Tag geworden. Sie reckte den Hals, um nach dem Steuermann zu sehen. Doch der Platz hinter dem Steuerrad war leer. Das Schiff schlingerte wie der, die Segel schlugen, das Steuerrad drehte sich unaufhaltsam schnell und gefährlich wie die Räder einer Lokomotive.
Da bemerkte sie Theodor Tollhoff. Zuerst sah es so aus, als hätte er das kleine weiße Fuchsfell um seine Schultern gelegt, um sich zu wärmen. Aber warum blickte er so verwundert? Dann bemerkte Betty den Dorn. Offenbar hatte eine Woge Tollhoff gegen den Mast geschlagen. Der Dorn hatte sich durch seinen Hinterkopf gebohrt, und weil er so lang war, stak ein kleines Stück aus einem Auge wieder hervor. Tollhoffs Blick war gebrochen.
Betty hatte keine Zeit, den nächsten Gedanken zu fassen. Sie stand nur einen winzigen Augenblick lang an Deck. Hier war keine Menschenseele mehr an Bord. Waren sie alle von einer der schweren schwarzen Wogen erfasst worden, die sich
auch jetzt an backbord auftürmten? Betty blickte nach hinten und sah drei Schiffe mit schwarzen Segeln und eines mit braunen, die hinter der Konstantina herjagten. Eines der Schiffe schob sich in diesem Augenblick etwas weiter nach vorn. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, in dem sie Francis zu sehen glaubte und in der er sie sah. Dann packte die große schwarze Welle zu und verschlang sie.
Sie spürte, wie ihr Körper gegen die Reling gedrückt wurde, dann nahm die schwarze Welle sie behutsam in ihre Arme und tauchte mit ihr in die Tiefe hinunter, dorthin wo es kalt war und wo alle Schmerzen vergessen waren.
Kleine weiße Luftblasen irrten um ihr Gesicht. Einen Schluck von Neptuns Whiskey nehmen und wie ein Pfeil nach unten tauchen? Sollte es schnell gehen? Oder durfte es ein wenig länger dauern? Die Welle wog sich bedauernd hin und her. Sie überließ Betty die Entscheidung. Sie schleuderte sie nach oben und zeigte ihr noch einmal die Wellen, die Gischt und den purpurnen Himmel.
Da beschloss Betty zu schwimmen. Sie schlug aufs Wasser, dann streckte sie sich und machte den ersten Schwimmzug. Die schwarze Welle hielt enttäuscht inne, drehte sich um die eigene Achse und stellte sich ihr in den Weg. Betty wollte Luft zum Atmen haben? Die Welle gab ihr kaltes Salz. Betty wollte ein Stückchen vom Himmel sehen? Die Welle spülte etwas Sand in ihren Mund und ihre Augen. Betty schwamm. Ein großer Fisch schoss herbei und umrundete ihren Körper. Betty versuchte, an die Oberfläche zu kommen. Eine Alge schlang sich um ihre Füße und zog sie weit nach unten.
Die Welle nahm Anlauf. Sie brauste los. Dann schlug sie Betty mit aller Gewalt auf den Strand.
Eisige Luft drang in ihre Lungen und biss sich dort fest. Ihre Hände krallten den eisigen Sand, dessen Oberfläche noch gefroren
war und der alle Düfte des Meeres eingefangen hatte. Betty konnte dennoch den Geruch grünen Seetangs wahrnehmen und den salzigen Hauch einer Muschel. Sie blinzelte durch den Sand, der ihre Augen erobert hatte. Sie konnte nur noch einen Finger ausstrecken und damit fast die wächserne Seide eines Teepaketes berühren, das neben ihr auf dem Sand lag. Alle Kälte war von ihr gewichen.
Da hörte Betty seine Stimme. Sie war direkt an ihrem Ohr. Sie spürte die Wärme seiner Lippen. Ein einziges Wort würde sie noch sagen in diesem Leben. Francis.
8
Dayun war als Einziger der Männer nicht gerudert, er hatte am Bug des Beibootes gestanden und Ausschau gehalten. Niemand verfügte über ein derartiges Sehvermögen wie er. Man erzählte sich, dass er die Augenfarbe eines Pferdes auf eine Entfernung von drei Meilen
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