Die Teeprinzessin
machen. Sie hielten dem Fremden aus China einzelne Münzen hin, die sie bei sich trugen. Einige, die eine kleine goldene Creole im linken Ohr trugen und damit ihre Herkunft als Seeleute bewiesen, rissen diese aus ihren Ohrlappen und boten Dayun derart ihren wertvollsten Besitz dar, der eigentlich dafür bestimmt war, ihnen im Falle eines Endes als Wasserleiche und Strandfund noch irgendwo ein christliches Begräbnis zu kaufen. Aber Dayun beachtete sie gar nicht.
Endlich hatte er etwas entdeckt. In einem vergleichsweise sauber wirkenden Leinenbeutel trug einer der Männer ein kleines, weiches, duftendes Brot mit sich herum. Dayun riss ein Stückchen davon ab, probierte es, kaute es ohne große Eile und nickte schließlich beifällig. Dann sprang er mit einigen wenigen Schritten zu seinem Herrn und überreichte John Francis Jocelyn das Brot.
Betty hatte sich unterdessen aufgesetzt. Als Francis ihr nun das Brot reichte, nahm sie vorsichtig einen Biss. »Es tut mir leid«, sagte sie und ihre Stimme hatte unter dem sanften Blick von Francis all ihre Brüchigkeit verloren. »Eigentlich wollte ich immer bei dir bleiben!«
Francis lächelte sie an. »Ich ebenso. Und ich denke, wir hätten das einfacher haben können!«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Betty. »Es wäre nicht dasselbe gewesen.«
Sie ließ sich von ihm auf die Füße helfen. Er hielt sie in seinem Armen und wollte sie offenbar überhaupt nicht mehr loslassen.
»Ist dir nicht kalt? Du musst erschöpft sein?«
»Überhaupt nicht. Das war das schönste Bad, das ich jemals genommen habe!« Sie lachte, und sie sah, dass in seinen Augen goldene Sprenkel tanzten. Sie fühlte sich, als sei sie im Glück
geschwommen. »Das wird Sikki aber gar nicht gern hören. Sie ist an Bord der Ersten Maria, die mir Mister Upton freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Sie hat mir schon von eurer Irrfahrt erzählt. Zuletzt war ich euch sehr dicht auf den Fersen. Nachdem ich endlich herausgefunden hatte, dass du mit dem Tee nicht nach Westen, sondern nach Osten gefahren bist, war es nicht sehr schwer, dich ausfindig zu machen. Du hast die Menschen sehr beeindruckt, wo auch immer du warst. Sogar das harte Herz meiner Mutter hast du erweicht! Die Dame Sahing lässt dich grüßen. Sie hat versucht, dich auf deinem Weg zu beschützen, sosehr sie konnte, aber hinter St. Louis ließ ihr Einflussbereich nach. Ich bin kurz nach dir in deinem Hotel gewesen. Aber als ich dort das Plakat von diesem Tollhoff sah, war mir klar, dass du, so schnell du nur konntest, von dort wegfahren würdest.
Ich war so verzweifelt, als ich dich in New York nicht fand! Sikki habe ich sehr schnell bei der Witwe Charlton in Five Points ausfindig gemacht. Zusammen haben wir ganz Manhattan nach dir abgesucht, doch du warst wie vom Erdboden verschwunden. Aber dann erzählte mir auf einem Fest eine junge Dame davon, dass ein verrückter Bonbonhersteller seine 400 Angestellten einige Tage zuvor nach Five Points geschickt hätte, um sie dort nach einer indischen Dienerin suchen zu lassen. Kurz darauf hatte ich Mister Upton gefunden. Aber da warst du gerade mit diesem Verrückten Holden Junes abgereist.« Er lachte. »Nun, seine Brüder und Vettern waren nicht gerade sehr begeistert von der Idee, ihren Verwandten auf dem Nordatlantik einzuholen. Mithilfe einer stattlichen Summe konnte ich sie dann aber dazu überreden.«
Dayun, der immer noch in einiger Entfernung von ihnen stand und die einheimischen Männer in Schach hielt, räusperte sich. Francis blickte kurz zu ihm hin, dann drehte er sich lächelnd
zu Betty um. »Komm, wir sollten jetzt gehen. Du gehörst ins Warme - und uns täte es auch gut, aus der Kälte zu kommen.« Er hatte seinen langen schwarzen Gehrock ausgezogen und ihn um Bettys Schultern gelegt, aber sie fror nicht. Nun, nachdem Francis wieder bei ihr war und sie etwas im Magen hatte, fühlte sie sich so stark und glücklich wie niemals zuvor. Sie war sogar glücklicher, als sie es jemals für möglich gehalten hatte. Es war, als ob mit dem Erscheinen von Francis eine ganze Welt zu ihr zurückgekommen war und all ihre Düfte.
»Ich habe ein Schiff in Hamburg liegen und eines in Amsterdam. Wenn du willst, können wir in drei Monaten in Darjeeling sein.« Er drückte ihre Hand an sein Herz. »Alle warten dort auf dich. Aber ich würde überall mit dir hingehen. Meine Mutter wäre glücklich, wenn wir nach Schanghai kämen, jetzt, wo sie dank deiner ihren Frieden mit mir gemacht hat. Und
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