Die Teeprinzessin
halten konnte, und senkte sich gleich darauf ins Nichts. Betty musste an ihre Reisegefährten in der Kutsche von San Francisco nach St. Louis denken. Wie oft hatten sie die schaukelnden Bewegungen mit dem Tanzen eines Schiffes auf hoher See verglichen. Wie falsch das gewesen war! Jedes einzelne Wort eines solchen Vergleiches war Hohn, gemessen an der Wirklichkeit. Wie lange waren sie nun auf See? Sechs Stunden? Zehn? Oder gar zwölf? Das Oberlicht war unterdessen salzverkrustet, man hätte auch am helllichten Tag kaum hindurchsehen können. Ob die Sonne schon aufgegangen war? Hieß es nicht, dass ein Sturm sich bei jeder Tide veränderte? Dann müsste die Lage spätestens nach zwölf Stunden besser werden. Betty spürte, wie schnell sie waren. Bestimmt hatten sie den englischen Kanal schon bald hinter sich gelassen.
Oben splitterte Holz. Jemand kam schweren Schrittes den Niedergang herunter. Vielleicht brachten sie ihr Tee. Oder jemand schaute nach, ob sie seekrank geworden war.
Und tatsächlich. Es klopfte an der Tür. Wer auch immer da draußen stand, um sie mit Tee oder freundlichen Nachfragen zu versorgen - ihm schien es nicht gut zu gehen, denn sie hörte deutlich, wie er stöhnte. Vielleicht war es besser, sich zur Tür zu tasten und sie zu öffnen.
Die Öllampe an der Decke schwankte gefährlich nahe an ihren Haaren vorbei. Sie hielt sich mit einer Hand, riss die Kabinentür auf und schaute mit freundlicher Erwartung hinaus.
»Da ist ja mein schönes Tierchen!« Theodor Tollhoff war unverändert. Auch jetzt, im flackernden Lichtschein, sah sein Gesicht seltsam hell aus, seine blauen Augen schienen wie Glassteine in Milch zu schwimmen. Betty benötigte nur einen winzigen Moment, um sich zu fangen. Sie drückte die Tür mit aller Kraft wieder zu. Doch Theodor Tollhoff war schneller. Als das Schiff sich zur Seite neigte und Betty die Tür zusätzlich gegen die Schiffsbewegung hätte drücken müssen, schob er flink einen seiner schwarzen Seestiefel zwischen die Tür und hatte sie im nächsten Augenblick aufgedrückt.
Betty verlor das Gleichgewicht, fiel nach hinten und schlug mit dem Kopf auf der Kante der Koje auf. Theodor Tollhoff ließ ein gut gelauntes Lachen hören, während er die Kabinentür mit seinem Rücken ins Schloss drückte und den Riegel vorlegte.
»Was für eine Saison! Büffelfelle zu Abertausenden, die allein schon vier große Schiffe füllten, und feinste weiße Füchse, die hier bei uns mit bester Fracht segeln. Der Tee schmeckt übrigens ganz wunderbar. Der Kapitän und ich haben uns eben eine Tasse davon gegönnt. Ich denke, der Wert des Tees wird den Wert der gestohlenen Gegenstände aus meinem Elternhaus
wiedergutmachen.« Er grinste. »So sind wir nunmehr quitt, das biete ich als Gentleman an, und wir können uns auf Augenhöhe begegnen.« Er sah belustigt zu, wie Betty sich wieder hochrappelte und kam einen Schritt näher. »Was war ich froh, als ich hörte, dass das schöne Tierchen hier an Bord gekommen ist. Und ganz von allein. Das sind die nettesten Tiere, die aus eigener Lust in die Falle gehen. Die nicht erst hineingezwungen werden müssen!« Das Schiff ruckte und er hielt sich lachend an dem kleinen Kartentisch fest. »Der Kapitän sagt, dass wir noch anderthalb Tage bis Hamburg brauchen. Der Wind ist gut. Wenn auch etwas zu stark. Das Tierchen mag doch Dinge, die etwas zu stark sind?«
Betty war bis an die Wand zurückgewichen. Das Schiff drehte sich und schlug im gleichen Augenblick zurück. »Verflucht noch eines, kann hier denn keiner ein Schiff auf Kurs halten?« Theodor Tollhoff rieb sich den Kopf, den er sich soeben an einem überstehenden Balken gestoßen hatte. Im gleichen Moment schlug das Schiff in die andere Richtung und er wäre fast gestürzt. Schritte stampften über Deck, jemand schrie gellend, dann wurde an die Kabinentür geschlagen. »Kommen Sie schnell nach oben, Herr Tollhoff, wir werden von vier Schiffen verfolgt, das eine hat uns eben gerammt!«
»Soll das ein Scherz sein?« Theodor Tollhoff hatte eine Hand am Gürtel und er fixierte Betty. Er schien ernsthaft zu überlegen, ob er hierbleiben oder nach oben gehen sollte, entschied sich dann aber für Letzteres. »Wir sehen uns noch, mein Tierchen!«
Betty wusste, dass dies die einzige Gelegenheit war, die sie für eine Flucht haben würde. Wo sollte sie sich verstecken? Bei ihrem Tee? Dort würde Tollhoff vermutlich als Erstes suchen. Andererseits kannte sie sich auf der Konstantina überhaupt
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