Die Teeprinzessin
Beobachtungsgabe einer gewissen ehemaligen Hofdame der Konkubine des chinesischen Kaisers zu verdanken.«
Der Schneider verneigte sich. »Oh, natürlich, verzeihen Sie mir bitte!«
Nur das dafür vorgesehene Cape aus weißem Hermelin wollte Betty nicht tragen. Sie wollte überhaupt keine Pelze haben, sagte sie, und der Schneider nickte. Was die junge Lady denn dann zu tragen wünsche? Einen Mantel aus feinster Wolle vielleicht? Oder ein leichtes Cape?
Betty überlegte. »Früher, als ich noch ein Kind war«, hob sie an, »war ich oft in der Silberschmiede meines Vaters. Dort gab es etwas sehr Schönes zum Spielen, es waren hauchdünne Fäden aus feinstem Silber und aus purem Gold. Sie wurden gebraucht, um winzige erhabene Muster auf einzelne Werkstücke aufzubringen, denke ich, aber für mich war das Engelshaar. Ich durfte es nie berühren, aber ich fand es damals wunderschön und habe mir immer vorgestellt, dass man aus den feinen Fäden auch etwas weben könnte. Einen zarten schimmernden Stoff.« Sie zögerte. »Kennen Sie Engelshaar?«
Der Schneider wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Selbstverständlich kenne ich Engelshaar. Mein Vater war auch Silberschmied, wenn ich das erwähnen darf.« Er errötete über und über. »Verzeihen Sie mir bitte diese Bemerkung. Ich werde für die junge Lady einen Mantel aus feinstem Engelshaar weben lassen!«
Betty schüttelte den Kopf. »Nein, keinen Mantel. Ein Mantel ist zu viel, ich hätte lieber eine kleine Jacke, die ich über meinem Kleid tragen kann!«
»Eine wundervolle Idee!« Der Schneider warf seine Arme mit einer theatralischen Bewegung in die Luft. »Noch heute Abend ist das Kleidungsstück fertig! Alle werden danach so etwas
haben wollen, alle.« Er tänzelte zur Tür hinaus und seine beiden Ankleidedamen folgten ihm wie zwei Schatten.
10
Das Haus der Remburgs lag in hellstem Glanz. In den vorderen großen Räumen waren die beiden riesigen Kronleuchter angezündet worden. Die Kutschen der Gäste parkten bereits zwei Straßen entfernt und in fast allen Seitenstraßen. An diesem hellen Sommerabend waren sogar Gäste sechsspännig vorgefahren, die nicht mehr als einen Steinwurf weit entfernt wohnten, und man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand, dass es kaum noch Paradepferde in der Stadt gab und dass einige der Kaufleute sogar eigens weiße und schwarze Pferde aus Lübeck hatten holen lassen, um bei diesem Fest großen Staat zu machen.
Betty saß etwas beklommen neben Francis in der Kutsche. »Was werden sie sagen, dass ihr ehemaliges Dienstmädchen bei ihnen zu Gast ist?«
Francis drückte ihren Arm. »Das haben sie geflissentlich vergessen. Sie behaupten, dass sie dich von irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen her kennen. Zumindest haben sie sich das wohl seit Monaten fleißig eingeredet. Dayun hat mir von zwei Reedern erzählt, deren Gespräch er zufällig mit ange hört hat, vermutlich, weil niemand ihm zutraut, dass er unsere Sprache versteht. Der eine Reeder hat damit aufgeschnitten, dass seine Frau mit Frau Remburg bekannt sei, die ja eine gute Bekannte der Teeprinzessin sei.« Francis lächelte. »So nennen sie dich hier auch schon.«
Obwohl kaum jemand auf der Straße war, als sie sich dem remburgschen Anwesen näherten, schien das ganze große
weiße Haus in Bewegung zu kommen, als ihre Kutsche vor fuhr. Im Handumdrehen standen plötzlich zwölf weiß und silbern livrierte Diener vor dem Haus und schickten sich an, Betty beim Aussteigen zu helfen, aber Francis war schneller und half ihr selbst aus der Kutsche.
Im gleichen Augenblick standen die Remburgs auf der obersten Stufe ihrer Freitreppe und zögerten vor lauter Unterwürfigkeit, den beiden Ehrengästen entgegenzukommen. Da sah Betty den jungen Mann. Sie hätte Anton fast nicht erkannt. Er war schmal und blass geworden und seine Mundwinkel hatte eine beginnende Bitterkeit herabgedrückt. Die junge Frau neben ihm musste Ricarda Remburg sein, eine der beiden Töchter. Sie hatte sich fest in Antons Arm verhakt und blickte Betty als Einzige mit einer Mischung aus Trotz und Triumph entgegen.
»Anton?« Sie versuchte seinen Blick zu fangen, aber er senkte ihn sofort.
»Guten Tag, Betty«, antwortete Anton kühl.
»Wir heiraten nächste Woche«, schwadronierte stattdessen Ricarda Remburg. »Und Herr Aberdira persönlich macht unsere Hochzeitsfotografie in seinem neuen Studio hier am Jungfernstieg. Er wird es im japanischen Stil machen. Schließlich war er selbst dort und
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