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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Verdächtige, die in ihrem Kerker auf die Gerichtsverhandlung wartete. Aber nichts dergleichen geschah. Hielt man Anton nun für schuldig, mit der Kerze den Brand des Teelagers verursacht zu haben? Hatte er gestanden? Befand man sie, Betty Henningson, für mitschuldig, weil er mithilfe des Talglichtes nach ihrer Haarspange gesucht hatte? Oder glaubte man etwa, dass er das Licht nicht gelöscht hatte, weil er zu begierig gewesen war, sich mit ihr am Deich zu vergnügen? Warum glaubten alle etwas von ihr, das sie niemals getan hätte? Betty schämte sich schon beim bloßen Gedanken daran.
    Würde die Versicherung für den Schaden aufkommen? Betty
wusste, dass viele Teelager nicht nur über die Börse in London gefüllt, sondern dort auch »Beim Lloyd« versichert waren. Traf das auch für den Schaden zu, den die Firma Asmussen erlitten hatte? Obwohl unterdessen mehrere Wochen verstrichen waren, schien niemand es für nötig zu befinden, mit ihr darüber zu sprechen. Wenn überhaupt, dann schnappte sie bei den gemeinsamen Mahlzeiten etwas auf, wenn der Vater, Frau Pannfisch und Elkhuber über den Brand und seine Folgen sprachen, so als säße sie nicht mit am Tisch. Sie war allein mit ihren Gedanken.
     
    Wie sich bald herausstellte, war das gesamte größere Teelager verbrannt und das Kontorhaus der Asmussens nur noch im Parterre bewohnbar. Der Schaden war so groß, dass er sich noch nicht einmal mehr beziffern ließ, denn die Lager konnten nicht wieder aufgefüllt werden. Chinesischen Tee gab es wegen des Opiumkrieges weder für Geld noch für gute Worte zu kaufen. In Java experimentierten die Holländer mit Teepflanzen. Auf den Teevorräten in Assam saßen die Briten, die schon jetzt künstlich die Mengen verknappten, um die Preise noch weiter in die Höhe zu jagen.
    Wer im Sommer 1858 nicht seine Lager gefüllt hatte, war in großen Schwierigkeiten.
    »Das macht dem alten Schlachtross da drüben aber noch nicht einmal das allermeiste aus«, knurrte Berthold Henningson, der nach einigen Tagen seine eigene Arbeit wieder aufgenommen hatte und eigentümlich ungerührt wirkte, obwohl er sichtlich gebeugt war und von einer erschreckenden Blässe. »Vermögen hat er ja wohl noch übrig. Das Schlimmste für ihn ist, dass er nun bei der buckligen Verwandtschaft wohnen muss, bis sein Haus wieder aufgebaut ist. Das ist genau wie damals, nach seiner Heirat. Das wird da drüben bei der alten Frau von Mux ja ein schönes Gekeife und Gegrolle geben.«

    Geselle Elkhuber betrachtete mit schief gelegtem Kopf ein Werkstück. »Wieso bucklige Verwandtschaft? Die alte Frau von Mux hat doch keinen krummen Rücken?« Er machte sich einen Spaß daraus, sich dumm zu stellen, das spürte Betty ganz genau. Damit wollte er die anderen dumm aussehen lassen.
    Betty, die den Männern ihr Vormittagsbrot in die Werkstatt gebracht hatte, wollte gerade antworten, dass man Frau von Mux ja fast nie an der frischen Luft sähe und dass Elkhuber dies deswegen wohl kaum beurteilen könne. Doch nach einem Seitenblick ihres Vaters schwieg sie. Wie streng er geworden war!
    »Der Buckel ist nicht sichtbar!«, entgegnete Henningson nun selbst. »Und es ist auch kein Buckel in einem herkömmlichen Sinne. Frau von Mux trägt eine Sucht mit sich herum, die eine viel schwerere Last ist als ein Buckel! Und sie wird man genauso schlecht los wie einen Buckel. Nämlich gar nicht. Sie ist teesüchtig.«
    Teesüchtig! Wie das klang! Dabei wusste die ganze Stadt, dass die betagte Henny von Mux sich weigerte, morgens aufzustehen, wenn ihr nicht von der Magd ein Tässchen Assam ans Bett gebracht worden war. Das kam in jüngster Zeit anscheinend öfter vor.
    Der Lehrer in der Schule hatte ihnen eines Tages sogar erzählt, wie es zwischen 1839 und 1842, zur Zeit des ersten Opiumkrieges, in der Stadt zugegangen war. Damals hatte es das Teehandelshaus Asmussen noch nicht gegeben, wohl aber zwei andere große Teehäuser. Als der Nachschub aus China ins Stocken kam, hatten nicht wenige Emder ihr Gold, ihren Schmuck und teilweise sogar Säcke Getreide, Schafe oder ganze Ländereien gegen Tee getauscht. »Und das nur, weil ihnen ihre Frauen im Nacken saßen«, hatte der Lehrer gesagt.
    Vom Müller Butenschwatt wusste man, dass er säckeweise
Mehl weggegeben hatte, um seiner Angebeteten Gretchen ein Kistchen Tee verehren zu können. Aber Frau von Mux über traf alles zuvor Dagewesene. Von ihr hieß es, sie habe damals ein wertvolles Brillantcollier zum Teehändler Burg-Lebenzell

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