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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Seitenblick zu Betty meist schnell wieder auf ihre eigenen Füße. Andere, die die Hecke nicht überragten und somit auch nicht sehen konnten, dass Betty im Garten saß, unterhielten sich manchmal kurz über »die, die hier wohnt«. Meist gipfelte der kurze Austausch dann in dem Bedauern über den Vater Henningson und darüber, dass das mutterlose Mädchen so schlecht geraten sei. Betty hatte das Gefühl, dass sie dem ganzen Treiben zusah wie durch eine der gewölbten Butzenscheiben in den Fenstern. Alles wirkte ein wenig verzerrt.
    Einige Male begann sie einen Brief an Anton. Doch da sie nicht wusste, wie sie das Schreiben die kurze Entfernung ins übernächste Haus hinüberschicken könnte, ohne das Grundstück zu verlassen und damit dem Vater gegenüber ungehorsam zu sein, zerriss sie die Papiere und hing weiter ihren Gedanken nach. Sie war ruhig geworden und blass.
    Auch Berthold Henningson hatte sich verändert in den vergangenen
Wochen. Während er sonst am Abend gern zu den Asmussens hinübergegangen war, um dort seinen Tee zu trinken und mit dem Freund eine Partie Schach zu spielen, saß er nun abendelang allein in seinem Zimmer. Betty fiel auf, dass Trude abends oft zu Plumbooms Gasthaus hinüberlaufen und einen großen Krug Bier holen musste. Früher war ihnen niemals der kleinste Tropfen Alkohol ins Haus gekommen. Nun aber hatten sich die Zeiten geändert. Im Flur roch es oft genau wie bei Plumbooms im Flur. Das war wohl der Branntwein, den der Händler Sielmann jetzt jede Woche mit seinem Karren vorbeibrachte. Betty kannte den scharfen Geruch, weil kleinere Verletzungen für gewöhnlich mit Branntwein eingerieben wurden. Was war mit dem Vater, dass er so viel davon benötigte? Trank er nun gar den Schnaps? Als Betty eines Abends an die Tür des Vaters klopfte, öffnete er nicht. Nur etwas Tabakrauch drang unter der Tür hervor, der sich mit dem himbeerigen Geruch aufgestoßenen Alkohols vermählt hatte.
    Einige Tage später, an einem schönen Sommerabend, hatte Betty noch lange in ihrer Laube gesessen, als plötzlich die Gartentür knarrte und Benjamina, die Magd von Henny von Mux, vor ihr stand. Benjamina, die sonst wenig hinauskam, war so aufgeregt, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. »Fräulein Betty! Kommen Sie bitte mit! Es ist sehr wichtig!«
    Betty sah sich zum Haus um. Frau Pannfisch hatte schon lange das Licht gelöscht und Elkhuber war vermutlich ausgegangen, wie fast jeden Abend. Die Fenster im Zimmer des Vaters waren geschlossen, durch die schwarzen Vorhänge drang nur ein schwacher Kerzenschein hinaus.
    Benjamina ergriff Bettys Hand und zog sie nun mit sich durch das Gartentor. Betty wollte protestieren, spürte jedoch, dass Benjamina einen wichtigen Grund hatte, sie zu holen. Ob etwas mit Anton geschehen war? Auf der dunklen Gasse blieb
Benjamina einen Augenblick lang stehen und lauschte. Doch alles war ruhig. Sie ließ Bettys Hand los und huschte voraus. Betty folgte ihr ohne große Neugierde. Sie war müde. Was auch immer die Nachricht war und was auch immer von ihr verlangt wurde, es würde doch wieder nur Ärger geben. Auch auf dem Marktplatz war alles ruhig.
    Das schwere Portal des muxschen Hauses wurde bereits von innen angelehnt gehalten. Betty schlüpfte hinter Benjamina durch den Türspalt und erkannte den Knecht der Asmussens, der die Tür sorgfältig hinter ihr schloss. Kein Laut war zu hören. Nur der Duft von Kaneel und Bergamotte hing im Raum. Im Vestibül schien sogar die Luft zu schlafen. Hatte man für sie etwa ein Treffen mit Anton arrangiert? Von seinem Geruch nahm sie hier gar nichts wahr.
    Benjamina raffte ihre Röcke und stieg die knarrenden Treppen ins Hochparterre hinauf, dann machte sie Betty ein Zeichen, ihr zu folgen. Die große, mit indischen Gottheiten verzierte Standuhr im Flur setzte eben zum ersten Schlag der Mitternacht an.
    In dem großen Salon von Frau von Mux brannten mehrere Leuchter, im flackernden Lichtschein sah die alte Dame noch knochiger aus als sonst. Sie saß in dicke gelbe Seidengewänder gehüllt in einem großen Sessel unter dem Fenster. Ihr Kopf mit den kurzen weißen Haaren wirkte seltsam klein zwischen den füllig aufgefalteten Schultern ihres Obergewandes.
    »Setz dich!«, sagte sie mit knarrender Stimme, während sie Benjamina mit einer Kopfbewegung bedeutete, den Raum zu verlassen. Betty kam zögernd einen Schritt näher. Anton pflegte seine Großtante mit einem Handkuss zu begrüßen. Erwartete man das nun auch von ihr? Aber eine Hand

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