Die Teeprinzessin
wurde ihr nicht entgegengestreckt.
»Tee kann ich dir leider nicht anbieten«, schnarrte die alte
Dame. »Alle meine Vorräte sind verbraucht. Und für Champagner bist du noch zu jung. Nur der dumme alte Albert soll noch Tee unter seinem Bett versteckt haben, dieser Sohn einer Kröte! Vielleicht sollte ich ihn meucheln lassen, dann würde ich ihn wohl beerben und den Rest seiner Teekrümel bekommen!« Sie lachte hölzern, streckte ihre knochige Hand aus und ergriff ein hochstieliges Glas, um einen erstaunlichen kräftigen Schluck daraus zu nehmen. Erst jetzt bemerkte Betty die beiden silbernen Sektkühler, die heute anstelle des Teeservices auf dem Rosenholztischchen standen. Es waren Arbeiten ihres Vaters, das erkannte sie sofort. Aus jedem Kühler ragte ein Flaschenhals. Die danebenstehende Flasche Heidsieck war anscheinend bereits ausgetrunken worden. Frau von Mux folgte Bettys Blick. »Bei mir ist es Heidsieck! Ich kannte diesen Champagner schon als Kind. Heidsieck kann man auch noch beim Namen nennen, wenn man schon ein paar Fläschchen davon intus hat! Heidsieck!« Sie ahmte ein Hicksen nach.
Betty setzte sich auf die Stuhlkante des Stuhles, der ihr am nächsten stand. Das Kerzenlicht flackerte. War die alte Dame etwa angetrunken?
Sie schien ihren Blick genau zu deuten. »Ja, mein Kind, entweder Schnaps oder Tee. So ist das nun einmal. Wenn es kei nen Tee mehr gibt, dann muss man eben wieder Schnaps trinken. Oder, wie in meinem Fall, Champagner. Die Kleinbürger holen sich jetzt alle wieder ihr Bier oder Branntwein, wenn es schnell gehen muss.«
Betty schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, was Sie mir sagen wollen?«
Henny von Mux zauberte ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. »Weißt du, mein Kind, wenn man jung ist und schön, dann ist das Leben wie ein Rausch. Glaube mir, ich war immer im Rausch! Überall auf der Welt. Ich habe so viel getanzt und
geliebt wie sonst kaum eine Frau. Und es war wunderbar. Aber irgendwann kommt ein Punkt, da lässt der Rausch nach. Das geht nicht von heute auf morgen. Es dauert Jahre. Damals habe ich angefangen, Champagner zu trinken, mehr Champagner als sonst. Mehr als andere Frauen. Damit konnte ich über alles lachen. Über meine Männer, die starben oder mich betrogen...« Henny von Mux rülpste undamenhaft und hielt sich zierlich die Hand vor den Mund. Betty verzog das Gesicht, als sich der saure Geruch gegorener Trauben vor ihr ausbreitete.
Henny schien es zu bemerken und lachte wieder ihr knarrendes Lachen. »Wer weiß, was schlimmer ist? Und über mich selbst konnte ich lachen! Einfach köstlich war ich! Aber dann war es an einem Tag zu viel. Zu viel Champagner. Zu viel Rausch. Zu viele Falten in meinem Gesicht! Zu viel Leid! Zu viele entschwindende Männer. Ein alter Arzt in Paris hat mir dann gesagt, dass ich Tee trinken muss, viel Tee, um den Alkohol zu vergessen. Tee ist das Einzige, was es mit dem Alkohol aufnehmen kann. Daher habe ich mich damals zu meinem Bruder geflüchtet, dem Großvater von Anton. Ein Teehändler in der Familie! Das ist doch etwas für eine trocken fallende Champagnerschwalbe, oder etwa nicht?« Sie lächelte wieder und nahm noch einen kräftigen Schluck. Das Glas klirrte auf dem Holztisch. »Ich wollte es dir sagen, für den Fall, dass du …«
Betty sah die alte Dame aus großen Augen an. »Für den Fall, dass mein Leben auch ein Rausch ist?« Vermutlich hatte auch die alte Frau von Mux die Geschichte mit dem Treffen am Deich gehört. Was dachten nur alle von ihr? »Das wird es gewiss nicht sein!«
Aber die alte Dame schüttelte nur so heftig den Kopf, dass ihre Ohrringe klirrten. »Oh, das werden wir noch sehen, aber das meinte ich gar nicht. Ich denke an den Fall, dass du irgendwo
noch etwas Tee auftreiben kannst. Damit könntest du eine unwürdige alte Dame wie mich noch vor der Hölle retten.«
Betty schluckte. »Ich glaube, da bin ich die Falsche. Ich mag Tee zwar, aber ich habe keinen. Man sagt ja, dass ein junges Mädchen in meinem Alter keinen Tee trinken dürfe. Und mein Vater besitzt auch keinen mehr!« Trank er etwa deswegen neuerdings so viel Bier und Branntwein? Gehörte er auch zu den Leuten, deren Leben ein Rausch war? Der Gedanke war so befremdlich, dass sie ihn kaum weiterdenken mochte.
Henny von Mux schien zu bemerken, dass Betty ihren eigenen Gedanken nachhing. »Nein, ich meine nicht, dass du die Falsche bist, um meiner Bitte nachzukommen. Du wirst noch weit herumkommen in der Welt, das ahne ich. Und ich
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