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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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durfte, erschien ihr doch ganz und gar unangemessen. Der Junge erinnerte sie an die kleinen Jungen aus den Emder Handwerkerhäusern, nur dass er vielleicht etwas offenherziger war. Aber seine Haare waren geschnitten und er wirkte auch nicht hungrig.
    Didi schüttelte den Kopf. »Engel schimpfen nicht«, sagte er dann. »Mama ist jetzt ein Engel. Aber sie ist immer bei mir, hat Papa gesagt!«
    Betty schluckte. Sie wollte etwas erwidern, aber Didi war schon vorausgerannt. »Komm mit, Betty!«, rief er. »Wenn wir es noch vor zehn Uhr bis zum Tor schaffen, lassen sie uns vielleicht zu zweit für eine Akzise durch!«
    Betty hatte Mühe, ihm zu folgen. Es war ein eigenartiges Gefühl, einen Hügel hinaufzugehen. Schon jetzt wurden ihre Beine immer schwerer, auch wenn der Weg nur kurz war. Die Wächter an den Torsperren standen auf einem offenen Platz im hellen Laternenlicht zwischen den hohen Torsäulen und lie ßen sie ohne Aufhebens passieren. Betty hätte sich gern noch etwas umgeschaut, aber dazu blieb jetzt keine Zeit. Je weiter
Didi und Betty in die Stadt hineinliefen, desto dunkler und enger wurden die Straßen. Betty rutschte ein oder zwei Mal aus und wäre fast hingefallen. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie ihre Schuhe aussahen, konnte sie aber bei dem Licht nicht kontrollieren. Und worauf war sie überhaupt ausgerutscht? Pferdeäpfel waren das jedenfalls nicht. Sie konnte den Gestank der Ausdünstungen aus den Häusern, der Kloaken und den Modergeruch aus den Fleeten kaum ertragen. Es war, als ob sie alles, was da vor sich hindünstete, einzeln erschnuppern konnte. Ein fauliger Kohlkopf, die gegorene Haut einer abgezogenen Ratte, das offene Geschwür eines Kranken, ein schimmelndes Brot, frisches Blut, Erbrochenes, auf dem Fliegen schwärmten, ein abgestandenes Bier. Betty hätte sich gern ein Taschentuch vor die Nase gehalten, fürchtete aber, Didi zu verlieren, wenn sie stehen bliebe und eines unter ihrem Gürtel hervornestelte. Aus einem der Häuser erklang ein Stöhnen, in der Ferne wimmerte ein Säugling.
    So wenig sie auch in die Tasche gepackt hatte, jetzt wurde sie ihr doch bleischwer in der Hand. Zudem war es immer noch recht schwül. Wenn auch am Hafen ein leichter Hauch vom Wasser her geweht hatte, so war es in den engen Straßen zwischen den Fachwerkhäusern ausgesprochen stickig. Betty hoffte inständig, dass sie Didi nicht aus den Augen verlieren würde. Aber zum Glück blieb er immer wieder stehen und wartete geduldig auf sie. Als sie beide außer Atem im gelben Lichtschein einer Brauerei stehen blieben, bot Didi ihr sogar an, ihre Tasche zu tragen, aber das wollte Betty nicht. Der kleine Junge war jetzt sehr blass. Schweißperlen glitzerten an seinem Haaransatz und lockten die blonden Haare. Er stützte die Hände in die Hüften und atmete schwer. Dann hastete er weiter.
    Die Luft wurde etwas klarer. Vielleicht lag das daran, dass
ein leichter Nachtwind durch die Straßen fächelte, vielleicht aber auch daran, dass sie offenbar in einen anderen Bereich der Stadt kamen. Hier waren die Straßen breiter und es lag weniger Unrat herum. Zudem gab es keine Durchgänge zwischen den Häusern, die hohen Gebäude mit den glatten weißen Fassaden standen eng und im Abendlicht schimmernd Seite an Seite. Viele der Häuser waren trotz der späten Stunde noch erleuchtet, bei den meisten standen einige Fenster offen. Betty konnte hören, dass dort gelacht wurde, das Klirren von Gläsern erklang.
    Didi blieb schwer atmend vor einem der Häuser stehen. »Hier ist es«, röchelte er. »Ich muss schnell nach Hause. Viel Freude und Glück im Leben!« Damit berührte er Betty kurz am Arm und war einen Augenblick später in der Nacht verschwunden.
    »Dir auch viel Glück!«, rief Betty ihm hinterher. »Vielleicht kann ich auch mal was für dich tun.« Ihre Stimme war unterdessen so heiser vom Durst und von der Anstrengung, dass sie kaum einen hörbaren Ton herausbrachte. Sie wusste nicht, ob Didi es gehört hatte. Er hob nur eine Hand und hastete weiter.
    Betty blickte zu der weißen Fassade hinauf. Es war ein schlichtes, aber sehr großes Haus mit vier Stockwerken. Oben wurde es von einem geraden Giebel begrenzt. Wie es aussah, waren die Hausbewohner noch nicht schlafen gegangen, überall brannte Licht. Doch die Fenster waren alle geschlossen.
    Betty zögerte einen Moment. Dann stieg sie die drei Stufen zur Haustür hinauf und läutete.
    Im Inneren erklang ein feines Bimmeln, viel leiser, als sie es sich bei

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