Die Teeprinzessin
und jammerte immer wieder, dass sie nun doch bald auf der anderen Elbseite ankommen müssten. Ihre Schwester habe sie schon vorgewarnt, dass sie über dänischen Boden kommen würden. Weil es schon fast zehn Uhr abends war, würden sie in die Torsperre kommen und jede vier Schilling Akzise zahlen müssen, um die Stadt überhaupt besuchen zu dürfen.
»Aber das Geld wird es dann wohl wert sein«, antwortete Betty leichthin. Eine Stadt, bei deren Betreten man Geld zu entrichten hatte, erschien ihr besonders wertvoll und schön. Sie sprang leichtfüßig an Land und blickte aufgeregt nach allen Seiten. Wie viel hier los war! Das war etwas anderes als das beschauliche Emden, in dem die Markttage die Höhepunkte der Woche waren. Betty sah sich neugierig zu einem Mann um, der einen kleinen Tisch aufbaute. War das ein Puppenspieler? Nein, dazu fehlte der Vorhang. Oder war es einer der Porträtfotografen, die es jetzt überall in den großen Städten geben sollte und von denen Anton immer geschwärmt hatte?
Betty hatte sich dem Tisch langsam genähert und hob die Hand. »Bitte warten Sie. Ich möchte mir das gern kurz ansehen«, sagte sie zu Frau Pannfisch.
Der Mann lächelte Betty zu.
Frau Pannfisch verzog den Mund. »Auch noch mit den Marktbeschickern herumpoussieren? Reicht es dir immer noch nicht?«
Betty traute ihren Ohren kaum. So hatte die alte Haushälterin noch nie mit ihr geredet. Aber sie beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen, drehte sich herum und sah Frau Pannfisch nur an. Vermutlich war Frau Pannfisch auch müde von der langen Reise. »Wie kommen wir denn nun zu Ihrer Schwester? Wollen wir uns eine Droschke nehmen?« Betty hatte den Hals gereckt und bereits den Droschkenhalteplatz entdeckt. Es standen noch mehr als ein halbes Dutzend Gefährte dort. Einige der Wagen waren riesig. Bestimmt passten mehr als zwanzig Fahrgäste hinein.
»Wir?« Frau Pannfisch hatte ihre Tasche vorsichtig auf den Boden gestellt, nachdem sie längere Zeit das Trottoir inspiziert hatte. »Was mich betrifft, ich soll mit dem Pferdeomnibus von Bason & Co. von der Palmaille zur Steinstraße fahren. Von da aus ist es nicht mehr weit zu meiner Schwester.« Jetzt nestelte sie einen Zettel aus der Tasche und überreichte ihn Betty.
»Das ist die Adresse von den Tollhoffs. Sie wohnen in einer Straße namens Cremon. Meine Schwester hat geschrieben, dass man da sehr gut zu Fuß hinlaufen kann, wenn man junge Beine hat. Ich hätte dich gern noch gebracht, aber es ist mir nun doch zu weit, und ich muss auch sehen, dass ich zu dieser späten Stunde ein Dach über dem Kopf habe. Sicherlich wartet meine Schwester schon auf mich!«
»Aber...«, machte Betty. Sie hatte gerade zwei düster dreinblickende Männer beobachtet, die sich beide in der Nähe des
Tisches aufhielten, ohne dass sie, wie alle anderen Menschen hier, irgendein Ziel zu verfolgen schienen. Was war an dem Tisch so interessant? Waren, die er anbieten wollte, hatte der Mann augenscheinlich nicht dabei. Und doch lag eine bestimmte Spannung über ihm. Der eine Mann stopfte sich eben den Rest einer fettigen Wurst in den Mund, dann griff er in die Tasche und warf eine schimmernde kleine Goldmünze in die Luft. Der andere Mann kaute anstelle eines Priems eine Kaneelstange. Vielleicht schaute er deswegen so zerknittert drein. Das konnte ja nicht gut schmecken, dachte Betty angewidert. Er schaute sich um, als ob er etwas suchte. Dann nickte er seinem Kumpel zu. Gutes führten die beiden bestimmt nicht im Schilde, da war Betty sich sicher. Sie hielt ihre Tasche etwas fester.
Betty war der Ansicht, dass Frau Pannfisch ihr eigenes Gemecker nicht ernst nahm. Bestimmt hatte sie nur schlechte Laune. »Mein Vater hat gesagt, dass Sie mich zu den Tollhoffs bringen«, sagte Betty sanft. »Dann werden wir jetzt mal losgehen.« Sie hatte ihre Reisetasche wieder ergriffen und schickte sich an, dem Menschenstrom zu folgen, der sich den Hügel hinaufwälzte.
Frau Pannfisch hielt sie am Ärmel zurück. Die Erwähnung ihres Dienstherrn hatte sie kurz zögern lassen, jetzt aber hob sie das Kinn und sagte, dass das nun ja wohl keine Rolle mehr spiele. Zudem sei es spät und sie habe eigentlich gedacht, dass sie schon am Nachmittag eintreffen würden. Jetzt jedenfalls, wo viele der Menschen schon Laternen umhertrugen, würde sie sicherlich nicht mehr mit Betty kreuz und quer durch eine fremde Stadt stapfen. »Dann mach es also gut und mach der Familie nicht noch mehr Schande«, schnarrte Frau
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