Die Teeprinzessin
Unrechtes, wenn sie ihn trank. Wenn sie früher eingetroffen wäre, hätte Frau Tollhoff ihr sicherlich auch eine Tasse davon angeboten, nach der langen Fahrt. Nun saß sie eben im Dienstbotenkeller, man hatte ja schließlich keinen Dünkel.
Fenja hockte vor dem Ofen und pustete das Feuer wieder an. Kurze Zeit später zwitscherte der Teekessel auf der heißen Platte.
Fenja brühte den Tee etwas zu dünn auf, fand Betty. Normalerweise wog man ihn mit einer Sixpencemünze ab, das war die richtige Menge für eine Tasse. Oder man nahm ein silber nes Teemaß, eines von denen, die ihr Vater so schön schmiedete. Sie nippte am Tee. Andererseits hatte sie selbst seit fast zwei Jahren keinen Tee mehr gekostet, und sie fand, dass er immer noch ganz und gar köstlich schmeckte. Er war zwar leider auch mit Bergamottöl parfümiert, genau wie die Lagertees, die seit dem Beginn des zweiten Opiumkrieges in ihrer Heimat getrunken wurden. Betty ließ ihn sich trotzdem schmecken. Sie spürte, wie das Leben in ihre müden Glieder zurückkehrte.
Mit Fenja war sie schon nach wenigen Minuten so vertraut, als würden sie sich seit Jahren kennen. Betty fand die junge Frau auch gar nicht so gewöhnlich wie die Bauernmägde, die sie aus ihrer Heimatstadt kannte. Während sie ihren heißen Teebecher in den Händen hielt, erfuhr Betty, dass Fenja sechzehn Jahre alt war und dass sie sogar schon einen Freund hatte, »aber nur streng zum Händchenhalten, und auch das nur jeden zweiten Sonntag«, wie Fenja betonte. Er hieß Jan-Hinnerk und er war Handlanger auf einem Elbkahn, ein sehr ordentlicher junger Mann, wie Fenja schwärmte. Er habe sie noch niemals in Verlegenheit gebracht. Später wollte er sein eigenes Schiff haben. »Und dann kann er ja auch irgendwann mal...« Fenja errötete bis zum Haaransatz.
Betty verstand sofort und errötete ebenfalls. »Wie sind die Tollhoffs denn so?« Bestimmt war es schicklicher, Fenja von diesem Thema etwas abzulenken. »Sind es angenehme Leute?«
Fenjas Gesicht verdüsterte sich. Sie schien ernsthaft überlegen
zu müssen. »Um mal das Gute zu sagen, man bekommt immer pünktlich seinen Lohn und auch keine Abzüge, wie andere sie kriegen«, sagte sie. »Die gnädige Frau sehe ich eigentlich nie, wir sollen ja nicht nach oben gehen, wenn es nicht nötig ist. Der gnädige Herr ist eigentlich ganz nett. Ich will gar nicht wissen, was die Leute so reden, mir tut er jedenfalls nichts. Aber vor seinem Sohn Theodor solltest du dich in Acht nehmen, der hat schon viel Unglück in die Welt gebracht! Aber solange du dich an die alte Meier hältst, kann dir nicht viel passieren. Der alte Drachen ist nämlich gar nicht so übel und sie passt letztlich gut auf uns alle auf. Sogar der alte Tollhoff hat Angst vor ihr.«
Betty lauschte mit leichtem Schauder. Wie gut, dass sie selbst nicht unter den Dienstboten würde leben müssen. Aber es war doch gut, dass man wusste, was sie dachten.
»Und woher kommst du genau? Und warum bist du hier?« Fenja goss ihr noch etwas Tee in den Steingutbecher.
Betty zuckte die Schultern. Fast hätte sie Fenja von ihrer Heimat erzählt und davon, wie sie mit Anton auf dem Lagerboden gelauscht hatte. Wie das Teehandelshaus fast völlig abgebrannt war. Einen Moment lang dachte sie sogar daran, Fenja von dem jungen Kaufmann John Francis Jocelyn zu berichten, in dessen Arme sie gefallen war und der ihr die Haarspange ins Haar gesteckt hatte. Wie lange war das her? Konnte es wirklich sein, dass sie sich immer noch an das Gefühl erinnerte, wie seine Arme sie umfassten?
Fenja beobachtete sie aufmerksam. »Ach so, da ist also ein junger Bursche im Spiel«, konstatierte sie. »Musst du gar nicht erzählen. Die Liebe ist ja meistens der Grund, wenn ein Mädchen in die große Stadt geht. Bestimmt haben sie dich weggeschickt, so blass und verloren wie du aussiehst. Liebt er dich denn sehr? Und du ihn?«
Ohne darüber nachgedacht zu haben, spürte Betty plötz lich, dass sie heftig nickte. Im gleichen Moment schüttelte sie heftig den Kopf. »Ja, nein, ich meine, weiß nicht, was sage ich da bloß?« Sie lachte so laut auf, dass Fenja den Finger warnend an den Mund hielt.
»Es ist nicht das«, flüsterte Betty und fing sich wieder etwas. »Es ist nur, weil ich hier lernen soll, wie man ein großes Haus führt!«
Fenja lächelte. »Du bist wirklich süß. Ich bin mir ganz sicher, dass er dich liebt, wer er auch sein mag. Aber nun müssen wir uns schnell aufs Ohr hauen. Wenn wir morgen früh
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