Die Teeprinzessin
ist, besteht sie plötzlich darauf, dass ich es bin, der reist. Es hat sich alles gewendet. Und alle ihre Bekannten pflichten ihr bei. Heute Nachmittag ging es bei uns zu wie im Taubenschlag. Ich habe noch niemals so viel Lob über meine Talente gehört. Remburg wollte nämlich auch für die anderen Kaufleute Teegärten erkunden und in Kanton einige Agenten treffen. Nun haben die Pfeffersäcke Sorge um ihre Zukunft!«
Anton hatte gestammelt und geschluchzt wie ein kleines Kind. Nun sprang er plötzlich auf und warf sich Aberdira in die Arme, der diesem plötzlichen Ausbruch mit großer Verlegenheit begegnete. »Nun ist alles aus!«, wimmerte er. »Mein Leben ist zu Ende!«
Betty stand hilflos neben dem Tisch. Noch vor einem Jahr hätte Anton ihr unendlich leidgetan. Jetzt spürte sie, dass sie dieses Gefühl für ihn nicht mehr aufbringen konnte. Sie konnte überhaupt nichts mehr fühlen.
Aberdira hatte sich behutsam von Anton losgemacht. Nun wanderte er in dem großen Raum auf und ab.
Antons rhythmisches Schluchzen wurde leiser und leiser, bis es ganz verstummte. Er beobachtete Betty. Betty folgte Aberdira mit den Augen.
Dann blieb Aberdira plötzlich stehen. »Ich habe eine Idee!«, rief er.
5
Die Idee war haarsträubend genug, aber sie konnte drei Menschen das Leben erleichtern, Anton, Aberdira und vielleicht auch Betty. Sie nämlich sollte sich an Antons Stelle auf den Segler nach China einschiffen.
Der Plan war so einfach wie schlagend. Da Betty offiziell als ertrunken galt und niemand sie vermisste, konnte sie an Antons Stelle an Bord gehen. Selbstverständlich musste sie dazu mit entsprechender Kleidung ausgestattet werden. Niemand aus der Mannschaft kannte Anton, da waren Anton und Aberdira sich ganz sicher. Der kleine Tausch, wie sie es nannten, würde nicht groß auffallen. Zudem war es ein schwieriges Unternehmen, im Winter durch die Nordsee und den Nordatlantik zu segeln. Die Mannschaft würde an Bord anderes zu tun haben, als einen jungen Passagier zu beobachten.
Auf den langen Überfahrten nach Ostasien war es ohnehin nicht unüblich, während der ganzen Zeit unter Deck in der Kabine zu bleiben. Gerade bei Abfahrten im Winter musste man in der ersten Zeit bei jedem Deckaufenthalt mit eisiger Kälte rechnen. Später, in wärmeren Gewässern und in den Häfen, die zwischendurch angelaufen werden mussten, fürchteten viele Reisende, sich mit Tropenkrankheiten zu infizieren. Von den Engländern wusste man, dass sie sich mit Gin und einer chininhaltigen Limonade vor der Malaria schützten. Ein gutes Mittel, das den Reisenden manchmal über Wochen alkoholisiert in seinen Räumlichkeiten unter Deck festhielt. »Das werde ich natürlich nicht machen«, wehrte Betty ab. »Die anderen Reisenden sollen nur denken, dass ich während der ganzen Überfahrt schlafe.«
Aberdira nickte begeistert. In Kanton angekommen, wäre
Betty viel eher als Anton in der Lage, verschiedene Teepartien zu prüfen und schließlich den allerbesten Tee einzukaufen. Auch wenn Anton in den vergangenen zwei Jahren einiges über Tee gelernt hatte, eine sogenannte »Tee-Nase« hatte er dabei nicht entwickelt. Es wäre für jeden Agenten ein Leichtes, ihn zu betrügen. Betty indes, davon war Anton überzeugt, würde nicht so leicht ein Opfer von Betrügern werden. Sie würde genügend Silber und etwas Gold als Zahlungsmittel mitbekommen und das Geld gut verwalten. Und er wäre so großzügig, Betty sogar noch etwas von seinem persönlichen ersparten Geld für die Überfahrt und die Passage zurückzugeben. Um die Ware nach Hamburg zu verschiffen, solle sie sich in Kanton der Hilfe eines Agenten bedienen. Die Firma Remburg habe in Kanton einen großen Namen. Als Pfand für die Verschiffung gelte der Wert des Tees, der Kapitän würde dann bei der Ankunft entlohnt. Anton sei sich sicher, dass Betty ihre Sache gut machen würde.
»Ich denke, du hältst mich für eine Betrügerin?«
Anton rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her. »Verzeih mir bitte, Betty!«
»Und für ein dummes Frauenzimmer?«
»Betty, es tut mir leid!«
Betty seufzte.
So sah also sein Plan aus. Es war vor allem ein eigennütziger Plan: Wenn sie in spätestens zwei Jahren zurück in Hamburg angekommen wäre, würden Anton und sie wieder ihre Rollen tauschen. Bis dahin hätte er eine lange Zeit vor sich, in der er völlig frei wäre. Er würde Aberdira auf dessen geplante Reise nach Japan begleiten, so war es ausgeschlossen, dass ihn jemand in der Stadt
Weitere Kostenlose Bücher