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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ganze Zeit lang still zugehört, nun schien auch er sich einmischen zu wollen. »Dass man nicht nach dir gesucht hat, junge Frau, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass man im Herbst wieder einige Mädchen aus den Hamburger Mühlenbächen herausgezogen hat, die trotz des Genusses gewisser Kräutertees von einer landesweit bekannten Scharlatanin in ungeplante Umstände gekommen waren und die ihrem Leben daher ein Ende gesetzt haben. Bei einem dieser Mädchen hat man einen silbernen Kamm mit deinem eingravierten Namen gefunden. Nur darum konnten wir dich hier verstecken. Offiziell giltst du also als tot.«
    »Genauso fühle ich mich auch!« Betty blickte ihn einen Moment lang an, bevor sie in ihre Kammer zurückging. »Der Tee ist übrigens Tee aus Darjeeling, er ist highgrown , wie man leicht selbst riechen kann, er ist also in großen Höhen gewachsen. Vermutlich ist es ein First Flush , so würzig wie er duftet. Da wir Dezember haben, sollte die Ernte nämlich viele Monate zurückliegen. Immerhin dauert ja allein der Transport von Ostasien bis nach London mehr als drei Monate, und manchmal sogar länger. Ich tippe also auf die erste Ernte im Frühling. Vielleicht hätte man das offene Kästchen mit dem schönen Tee allerdings nicht so lange in einem Raum voller Pfeifengestank stehen lassen sollen. Dann würde der Tee jetzt nicht nach Old Navy stinken. Gute Nacht!«

    Betty verließ den Raum so, wie sie ihn betreten hatte, still und unglücklich, und niemand beachtete sie.

4
    In den folgenden Wochen kam Anton nur noch selten in die dunkle Wohnung im Steinweg. Er habe viel zu tun, sagte er einmal. Ein anderes Mal schützte er vor, dass er sich vor Wochen einen Husten zugezogen habe und Aberdira daher nur in so großen Abständen besuche. Zum Fotografieren war es nun zu kalt geworden, das Licht sei grau, jammerte Aberdira, und die Luft unmenschlich kalt, eine Fotografie kühle das Sujet im Gesamteindruck des fertigen Kunstwerkes ohnehin schon ab. Man müsse auf den Frühling warten.
    Betty versuchte, sich mit der Situation zu arrangieren. Sie machte ihre Arbeit, die ihr schwerer von der Hand ging als die bei den Remburgs oder gar die bei den Tollhoffs, und sie schlief viel. Seltsam war, dass sie nicht mehr träumte. Sie wurde nicht einmal mehr von Albträumen geplagt. Wenn sie schlief, dann hatte sie das Gefühl, eng in ein graues Laken eingeschlungen zu sein und nicht mehr herauszukönnen.
    Die großen Räume in Ordnung zu halten, war das eine. Doch als im Dezember wegen des Frostes die Leitungen der Wasserkunst versiegten, musste sie Wassereimer um Wassereimer von einer öffentlichen Zapfstelle, die noch offen gehalten wurde, bis in die Etage hinaufschleppen. Da Aberdira es nicht für nötig befand, ihr Geld für Handschuhe oder gar für ein wärmendes Cape zu geben, waren ihre Hände oft blau gefroren, wenn sie mit dem Wasser wieder im Steinweg erschien. Meistens rügte Aberdira sie nur, dass er schon auf seinen Tee warte, oder er räsonierte, dass er viel zu gutmütig sei, in diesem schweren
Winter noch einen zusätzlichen Esser aufzunehmen. Betty hätte darüber nur hohnlachen können, wenn sie sich nicht schon lange wie versteinert gefühlt hätte. Aberdira selbst ging zum Essen meist aus und blieb nicht selten auch über Nacht fort. Wenn er zurückkam, trug er Pakete mit Konfekt oder süßem Kuchen bei sich, oder er hatte ein Tütchen Kakao in der Tasche. Für Betty indes war keine der Köstlichkeiten bestimmt. Sie durfte sie nur auf Tellerchen arrangieren, wenn er sich nachmittags im Salon oder in seinem Atelier aufhielt und dort sogar manchmal Kundschaft zu bewirten hatte. Sich fotografieren zu lassen machte offenbar hungrig. Und unhöflich. Betty behandelten die Damen und Herren, die sich von Aberdira ablichten ließen, mit ausgesuchter Abfälligkeit.
    Die wenigen Münzen, die ihr Aberdira in unregelmäßigen Abständen auf den Tisch in der Küche warf, reichten kaum, um Brot und Roggenschrot zu kaufen und gelegentlich einmal ein Stückchen Speck. Betty fühlte sich mehr tot als lebendig.
    Sie überlebte, mehr schlecht als recht, und sie spürte selbst, dass sie mager geworden war und matt. Ihre runden weiblichen Formen, um derentwillen sie sich manchmal schon als ein wenig zu mollig empfunden hatte, waren dahingeschmolzen. Ihren Rock musste sie schon seit Wochen mit einem Strick in der Taille halten. Der grüne Stoff war vorne fadenscheinig geworden, weil sie keinen anderen hatte und in ihm auch die

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