Die Teeprinzessin
Reisegepäck haben, und ich möchte ein paar schlichte, aber hübsche Kleider, die ich tragen kann, wenn ich in China angekommen bin und diese Rolle nicht mehr spielen muss. Außerdem brauche ich Schuhe und Strümpfe, Unterwäsche und einen sehr warmen Mantel mit einem Fellfutter für die Seereise. Dazu Hut, Handschuhe und Schals. Da es in Ostasien vermutlich heiß ist, benötige ich Tropenkleidung, helle Blusen, Röcke und Hemden, weiße und beige Schuhe, helle seidene Strümpfe, einen Sommerhut und zwei Sonnenschirme!«
Aberdira rang die Hände und begann wieder durch die Wohnung zu marschieren. »Wovon soll ein armer alter Mann das bezahlen?«
»Und woher sollen wir jetzt noch all die Sachen bekommen?«, jammerte Anton. »Es ist spät, und ich muss mich wieder bei Remburgs sehen lassen, damit sie keinen Verdacht schöpfen!«
»Gut, dann fahr du eben selbst!« Betty musste fast lächeln, als sie Anton so sah. Wenn sie aber tief in sich hineinhorchte,
dann fühlte sie, dass die Dinge im Begriff waren, sich zum Besseren zu wenden. Was auch immer das heißen mochte.
Es war das erste Mal seit vielen Monaten, dass sich wieder etwas Licht in ihrem Leben zeigte. Und auch wenn ihr Kindheitsfreund Anton dies anscheinend vergessen hatte: An diesem Tag im Dezember war sie sechzehn Jahre alt geworden.
VIERTES BUCH
Das Meer des Jupiter
Der Duft des schwarzen Mondes
Hafen von Hamburg, Montag, 12. Dezember 1859,
aufziehende Dämmerung, bis Dienstag, den 11. März 1860,
Lizas Garden, Darjeeling, 3 Uhr nachts.
1
Betty Henningson war noch niemals zuvor auf einem Großsegler gewesen, als sie an einem dämmrigen Spätnachmittag im Dezember 1859 an Bord der Frieda Maria kletterte. Die Frieda Maria war ein hölzernes Vollschiff von fast 150 Hamburger Fuß Länge und es würde voll beladen eine Commerzlast von mehr als 100 Tonnen tragen.
Betty konnte sich gut daran erinnern, wie damals in Emden der alte Asmussen immer über die Agenten in Ostindien geklagt hatte, denen kein Handelsgut aus dem Abendland wertvoll genug erschien und die keine westliche Ware gegen Porzellan oder Tee eintauschen wollten. Die gewebten Stoffe erschienen ihnen derb, im Vergleich mit der Seide, die sie selbst herstellen konnten. Sie kicherten darüber und ließen alle einmal fühlen, sagte man, bevor sie in immer größeres Gelächter ausbrachen. Kaffee und Kakao und andere Kolonialwaren aus Afrika mundeten ihnen nicht. Vor Pelzen ekelten sie sich. Lederwaren kannten sie nicht oder sie stellten sie in geringem Maße selbst her. Kunstvolle Kleinmöbel aus Frankreich, Kartentischchen
und Tabletts aus Edelhölzern konnten die Agenten immerhin noch an die Frauen der Kolonialbeamten absetzten, wenn sie auf der Fahrt nach Ostindien Bombay anliefen. Aber spätestens dort mussten sie sie auch loswerden. Den Chinesen nämlich kamen diese Gegenstände angeblich alle kunstlos und grob vor. Einmal hatte Betty beim Servieren gehört, wie der alte Remburg einem befreundeten Händler erzählte, was er als junger Mann in Kanton erlebt habe. Ein Chinese hatte den Preis für ein kunstvoll gearbeitetes Intarsienschränkchen heruntergehandelt. Tage später stand er damit auf dem Markt. Aber er wollte nicht das Schränkchen weiterverkaufen, sondern das Schwein, das er nun darin hielt.
Medizin aus Europa kam den Chinesen rückständig vor, Zucker und Alkohol vertrugen sie nicht, Bücher und Schriften konnten oder wollten sie nicht lesen. Wenn man ihnen Goldschmuck anbot, wogen sie ihn und schmolzen ihn wieder ein. So war das Handelsgut begrenzt. Nur Nähnadeln kauften sie in großen Mengen und optische Gläser liebten sie. Wer aber in China größere Mengen Porzellan oder gar Tee einkaufen wollte, der brauchte zweierlei: gute Kontakte und viel Silber. Schon sprach man von einer Silberknappheit im Abendland, denn nach und nach war immer mehr Edelmetall im Handel mit dem fernen Osten verbraucht worden. Die Preise für den Rohstoff stiegen unaufhörlich. Bettys Silber lag in zwei mit dem Wappen der Remburgs verzierten Kistchen unter ihrer Koje.
Sie hätte es nicht für möglich gehalten, dass Aberdira es schaffen würde, sie innerhalb einer einzigen Nacht für diese Reise auszustatten. Aber ihm schien so viel daran zu liegen, dass Anton nicht abreiste, dass er Betty alle Wünsche erfüllte. Mitten in der Nacht war der befreundete Inhaber eines Salons für Damenmode im Steinweg erschienen und hatte Kleid um Kleid aus großen Schachteln gezogen, und sogar passende Schuhe
und
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